Fruchtbarkeit - 1
zweiten Kindes das wir zu nähren und aufzuziehen hätten? Alle unsre Berechnungen waren gemacht, dieses unglückliche Kind wirft sie über den Haufen, schleudert uns für immer ins Elend zurück!«
»Was für ein Gedankengang!« sagte Marianne mit ihrer lächelnden Ruhe.
»Aber er ist berechtigt, meine Liebe! Es bietet sich einmal eine Gelegenheit, und wenn man diese nicht benutzt, so ist es für immer vorbei. Wenn mein Mann die Fabrik nicht verläßt, im Augenblicke, da sich ihm anderwärts eine glänzende Zukunft bietet, so ist er auf Lebenszeit angenagelt, alle unsre Träume fallen ins Wasser, Reines Mitgift, ein glücklicheres Leben, alles, was wir je erhofft und ersehnt haben. Wie, Sie, eine so kluge Frau, Sie verstehen das nicht?«
»Ach ja, ich verstehe wohl! Aber sehen Sie, mir liegen derlei Berechnungen so fern, daß es mir schwer fällt, ihre Berechtigung zu fühlen. Sie setzen mich in Erstaunen und bereiten mir Schmerz. Die Kinder kommen, man muß sie wohl aufnehmen, und sie sind schließlich doch das Glück und der Reichtum. Es kann nichts Einfacheres geben.«
Valérie protestierte unter neuen Tränen.
»Sagen Sie doch das meinem armen Mann, der voll Scham und Verzweiflung über das ist, was er angestellt hat. Er kann den Gedanken gar nicht fassen! Sehen Sie, heute, Sonntag, wissen Sie, wo er ist? Er sitzt zu Hause und arbeitet, um einige Sous neben seinem Gehalt zu verdienen. – Aber wenn es sein muß, so werde ich Willen und Kraft für ihn haben. Er ist so schwach und so gut!«
Dann schienen Gedanken, die sie nicht aussprach, sie plötzlich wieder zu überwältigen. Sie rang die Hände und stammelte unter heftigem Schluchzen: »Nein, nein! Es ist unmöglich, ich kann nicht, ich darf nicht schwanger sein! Nein, nein, es kann nicht sein, ich will nicht, ich will nicht!«
Sie wand sich unter so heftiger Seelenpein, daß Marianne darauf verzichtete, ihr Vernunftgründe vorzuhalten, und sie liebevoll in ihre Arme nahm, um sie zu trösten, um so mehr, als sie fürchtete, daß ihr Weinen im Nebenzimmer gehört werden würde, aus welchem das fröhliche Lachen der Kinder herüberscholl. Und nachdem sie ihr die Augen getrocknet hatte, führte sie sie dahin.
»Zu Tische, zu Tische!« schrien die Knaben, mit Händen und Füßen trommelnd. Er bot einen hübschen Anblick, dieser für das Vesperbrot vorbereitete Tisch, auf welchem Mathieu unter dem Beistand Reines eben noch vier Kompottschüsseln, welche Kuchen und eingemachte Früchte enthielten, symmetrisch anordnete. Die drei Jungen verzögerten alles, indem sie bei allem helfen wollten, während Rose fortwährend auf dem Punkte war, alles zu zerbrechen. Aber man unterhielt sich so prächtig, und Reine war so allerliebst als kleine Hausfrau! Sie lachte, ohne Zweifel schon nicht mehr ganz harmlos, als Ambroise seiner Mutter zurief, daß sie seine Frau sei, und Rose ihr kleines Kind. Marianne hieß ihn schweigen, als sie sah, daß Valérie wieder ihre Tränen zurückdrängen mußte. Dann setzte man sich zu Tische, und die Kinder aßen mit Heißhunger.
An diesem schönen Sonntagabend, gegen neun Uhr, nachdem die Kinder zu Bett gebracht worden waren, schlossen sich Mathieu und Marianne frohen Herzens in ihr Schlafzimmer ein. Er bestand darauf, daß sie sich sogleich zu Bette lege, er deckte sie zu und rückte ihr die Polster unterm Kopf zurecht. Dann wachte er an ihrer Seite, las ihr bis zehn Uhr vor, da sie um diese Stunde eine Tasse Lindenblütentee nehmen sollte, den er ihr täglich selbst bereitete, indem er wiederholte, daß er des Mädchens nicht bedürfe. Nachdem sie ihre Tasse geleert hatte, wünschte er ihr gute Nacht, indem er ihr zwei brüderliche Küsse auf die Wangen drückte, denn sie war ihm heilig, und sie scherzten beide darüber und nannten sich Monsieur und Madame. Sein kleines Bett war bereit, er entkleidete sich, löschte die Lampe aus und rief ihr zu, sie möge schlafen. Er aber schlief nicht ein, wartete, bis ihr regelmäßiger Atem ihm sagte, daß sie entschlummert sei, dann schloß auch er die Augen. Und wie oft erwachte er, erhob sich geräuschlos, umgab auch ihren Schlaf mit religiösem Kultus!
Marianne, der Mathieu die Morgenstunde einer Königin bereitete, die er in der hellen Wintersonne wie eine Prinzessin aus den Märchen spazieren führte, wurde des Nachts von ihm bedient und verehrt gleich einer Göttin. Es war der höhere und reinere Kultus als der der Jungfrau, der Kultus der Mutter, der geliebten und glorreichen, der
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