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Fruchtbarkeit - 1

Fruchtbarkeit - 1

Titel: Fruchtbarkeit - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sich gar keinen Begriff machen.«
    Sie konnte sich aber nicht enthalten, zu lächeln, als Mathieu ihr durch eine Gebärde zu verstehen gab, daß er in diesen Dingen unterrichtet sei und recht wohl wisse, daß die polizeilichen Inspektionen noch keiner Hebamme Ungelegenheiten verursacht hätten.
    »Nun ja, natürlich, man richtet sich ein. Aber hierher können Sie jeden Tag kommen, sie werden mich nie bei etwas Unrechtem ertappen. Anständig zu sein ist noch immer die beste Art, um gute Geschäfte zu machen. Ich habe daher auch von meinen dreißig Betten fünfundzwanzig besetzt, und zwar von Damen aller Stände. Wenn sie sich der Hausordnung unterwerfen und ihre Pension zahlen, oder die Armenverwaltung sie für sie bezahlt, so frage ich sie nicht einmal, woher sie kommen; weder Namen noch Adresse, das Berufsgeheimnis würde mir verbieten, selbst das weiterzusagen, was ich durch Zufall erführe. Sie sind frei, sie haben nichts zu fürchten, und wenn wir in bezug auf die Dame, in deren Namen Sie mich aufsuchen, zu einer Einigung kommen, so haben Sie mir sie lediglich an dem bestimmten Tage zuzuführen, und sie wird bei mir das diskreteste und gesündeste Asyl finden.«
    Mit ihrer großen Erfahrung hatte sie wohl auf den ersten Blick die Natur des Falles erkannt: irgendein Mutter gewordenes Mädchen, das ein Herr anständig versorgen wollte. Das waren die einträglichen Geschäfte. Und als sie erfuhr, daß es sich um einen Aufenthalt von vier Monaten handelte, wurde sie entgegenkommend und begnügte sich schließlich mit einem Pauschalbetrag von sechshundert Franken, unter der Bedingung, daß die Dame ein Zimmer mit drei Betten mit zwei andern teile. Es wurde alles abgemacht, und die neue Pensionärin noch desselben Abends eingeführt.
    »Sie heißen Norine, mein Kind. Sehr wohl, das genügt. Sobald Ihr Köfferchen heraufgebracht ist, werde ich Sie in Ihr Zimmer führen. Sie sind schön wie ein Engel, und ich weiß schon jetzt, wir werden gute Freundinnen werden.«
    Erst fünf Tage später kam Mathieu wieder zu Madame Bourdieu, um zu sehen, wie sich Norine befand. Wenn er an seine Frau dachte, deren glückliche Schwangerschaft er mit so zarter Aufmerksamkeit, mit einem Kultus der Anbetung und Zärtlichkeit umgab, so empfand er ein schmerzliches Gefühl, ein unendliches Mitleid für alle verschämten, verborgenen, beschimpften Schwangerschaften, für alle die unglücklichen Frauen, denen es furchtbare Qualen bereitet, Mutter zu sein. Der Gedanke an das Entsetzen und die Schmach, in welche die Mutterschaft die Frau stürzen kann, bis in den Kot, bis ins Verbrechen, peinigte ihn wie eine Entweihung; und nie hatte er, in seinem leidenschaftlichen allmenschlichen Gefühl, sich so von Güte und Hilfswillen durchwärmt gefühlt. Er hatte noch einmal mit Beauchêne kämpfen müssen, der sich widersetzt hatte, als er hörte, daß eine Fünfhundertfrankennote nicht genüge. Aber es war ihm gelungen, seine Einwilligung zu allem zu erlangen, und sogar noch etwas Geld für Wäsche und ein kleines Taschengeld von zehn Franken monatlich. Er wollte dem armen Mädchen nun die ersten zehn Franken bringen.
    Knapp nach neun Uhr betrat Mathieu wieder das Haus in der Rue Miromesnil. Ein Dienstmädchen, welches hinaufgegangen war, um Norine zu benachrichtigen, kam zurück und sagte, sie befinde sich noch im Bett, aber Monsieur könne hinaufgehen, da Madame allein im Zimmer sei. Sie führte ihn hinauf und öffnete eine Tür im dritten Stock, indem sie sagte: »Madame, da ist Monsieur.«
    Als sie Mathieu sah, lachte Norine fröhlich. »Sie hält Sie für den Vater, wissen Sie! Und es tut mir leid, daß es nicht wahr ist, denn Sie sind sehr liebenswürdig.«
    Sie saß im Bette aufrecht, in ein weißes Kamisol gehüllt, ihre schönen Haare sorgfältig frisiert und rückwärts in einen Knoten vereinigt, sehr sauber, sehr weiß, ein anständiges und vernünftiges Mädchen. Sie zog sogar die Decke etwas höher hinauf mit einer jener instinktiven Gebärden der Schamhaftigkeit, die verrieten, daß sie sich in ihrem Falle noch Unverdorbenheit bewahrt hatte.
    »Sind Sie krank?« fragte er sie.
    »O nein, ich lasse es mir nur wohl sein. Es ist erlaubt, im Bette zu bleiben, und so schlafe ich in den Tag hinein. Das ist mir etwas Neues, die ich sonst jeden Tag um sechs Uhr bei einer Hundekälte aufstehen mußte, um in die Fabrik zu gehen. Sie sehen, ich habe Feuer; und sehen Sie nur das Zimmer an, ich wohne da wie eine Prinzessin.«
    Er sah sich um. Es war

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