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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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«Was ist das?», wollte er wissen.
    «Tunisian State Wankers in Black Suits», gackerte Sanford.
    Preising, hätte er nicht derart Angst gehabt, wäre wohl ernsthaft entrüstet gewesen, hatte er doch in seiner Vorstellung mit der englischen Akademikerklasse immer einen zwar furztrockenen und nachtschwarzen, aber eben besonders distinguierten Humor verbunden.
    «Kommen sie, old chap», Sanford boxte ihn auf den Oberschenkel, «relax, die sind von der Staatssicherheit, Inlandsgeheimdienst, SFNP, oder wie immer dieser Verein hierzulande heißt.»
    «SFNP?», fragte Preising zweifelnd.
    «Sadistic Fingernail Pullers.» Sanford wieherte und hieb auf das Lenkrad.
    «Was wollen die von uns?», keuchte Preising. «Hat das etwas mit diesen Vielkammerbauten zu tun? Ist das verboten, diese Dinger zu besichtigen?»
    «Die sind wegen Ihnen hier», grinste Sanford. «Ich vermute mal, der Bademeister hat unseren kleinen Streich gepetzt, und jetzt hat uns Ihre Freundin die Staatssicherheit auf den Hals gehetzt, damit Sie nicht verloren gehen. Dieser Frau scheint ja wirklich etwas an Ihnen gelegen zu sein. Und gute Beziehungen scheint Sie auch zu haben.»
    Beide starrten in den Rückspiegel. In gleichbleibendem Abstand folgte ihnen der Geländewagen.
    «Wollen wir sie abhängen?», fragte der abenteuerlustige Engländer.
    «Ich sah mich gezwungen, ihn an seine Verantwortung als Vater zu erinnern, der es doch unmöglich darauf anlegen wolle, nur Stunden vor der Hochzeit seines Sohnes, notabene seines einzigen Kindes, in einem Pritschenwagen am Boden einer tunesischen Schlucht zerschmettert zu werden. Einen Hinweis, den ich lieber hätte bleiben lassen, denn nun schien Sanford tatsächlich in Erwägung zu ziehen, das Fahrzeug über die steile Böschung hinabzustürzen; sei es, um der abendlich dräuenden Zeremonie zu entkommen, oder weil ich ihn unvorsichtigerweise an den Verlust seiner Tochter Laura gemahnt und damit unvermittelt eine Todessehnsucht in ihm geweckt hatte.»
    «Der Verlust eines Kindes», sagte Preising, ganz um Beiläufigkeit bemüht, «kann, so habe ich vor Kurzem gelesen, ich weiß allerdings nicht mehr, wo, die Betroffenen noch nach Jahren, in Momenten des Aufblühens ihrer Trauer, zu erstaunlichen Kurzschlussreaktionen verleiten.» Demonstrativ faltete ich die Hände im Schoß und stellte das leise Scharren meiner Füße im Kies ein, um ihm zu signalisieren, dass ich von einer solchen Gefühlsaufwallung weit entfernt sei, in der Hoffnung, er würde es dabei bewenden lassen und in seiner Erzählung fortfahren. «Jedenfalls», so nahm er nach einem letzten sorgenvollen Seitenblick seine Geschichte wieder auf, «trat Sanford das Gaspedal erbarmungslos durch, sodass die Hinterräder bei jeder Kurve auf dem Schotter ins Rutschen gerieten und wir mehrmals nur haarscharf einem Absturz entgingen.»
    Preising konnte erst wieder aufatmen, als die Bergstraße eine schmale Hochebene erreichte und sich beinahe schnurgerade vor ihnen entrollte. Sanford, der Möglichkeit des nahen Todes entronnen, schien die Freude an der Verfolgungsjagd verloren zu haben und fuhr nun gemächlich, links und rechts nach den unterirdischen Vielkammerbauten Ausschau haltend, durch die zwar karge, aber reizvolle Landschaft. Der dunkle Geländewagen folgte ihnen in gleichbleibendem Abstand, und als Sanford am Straßenrand hielt, lenkten auch ihre Aufpasser aufs Bankett.
    Der englische Soziologe schulterte sein Rucksäckchen und bestand darauf, den Weg zu Fuß fortzusetzen. Preising, dem niemand gesagt hatte, dass ein Rucksack vonnöten war, steckte sich zwei kühle Wasserflaschen in die Taschen seiner Trekkinghose und zwei gefüllte Fladenbrote unters Hemd, welche bald fettige graue Flecken hinterließen, die aufs Reizvollste mit den Rosenwasserflecken auf seiner Hose kontrastierten. Es fiel ihm schwer, dem zügig voranschreitenden Engländer zu folgen, zumal ihm die Wasserflaschen um die Beine schlenkerten und an den Hosen zogen und ihm die im Gehen hastig aufgetragene Sonnenmilch in den Augen brannte. Es schien ihm aber nicht ratsam, seinen englischen Gefährten um einen langsameren Gang zu bitten, da dieser ohnehin durch die Anwesenheit der Anzugträger, die sie schließlich Preising zu verdanken hatten, recht verärgert war und regelrecht in Wut geriet, als er sich zu dem stolpernden Preising umdrehte und hinter diesem ihre Aufpasser sah, die sich nicht etwa die Mühe machten, ihnen zu Fuß zu folgen, sondern ihren schweren Geländewagen von der

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