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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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die Geschichte der Berber. Ich war nicht unglücklich, als nach zwei Stunden Fahrt an einem Berghang ein kleines Dorf auftauchte und mein Begleiter vorschlug, dort ein Glas Tee zu trinken. Tatsächlich gab es inmitten der staubigen Hütten so etwas wie einen Dorfplatz mit einer kleinen Kneipe, deren Blechtischchen und Hocker im Schatten der gegenüberliegenden Gendarmerie lagen.»
    Während Sanford über die Feinheiten der berberischen Dorfstrukturen und die Rolle der Frau referierte und auch Preising das Seine dazu beitrug, denn auch er hatte einiges gelesen über fremde Völker – Sanford, vom süßen Kräutertee milde gestimmt, ließ es ohne größere Einwände gelten, wenn Preising die Erbfolgetradition der guatemaltekischen Bergsippen mit den blutigen Initiationsriten der westafrikanischen Stämme, oder waren es doch die Ureinwohner Surinams?, verglich und ihm dies nur ganz fadenscheinig mit den Berbern in Bezug zu setzen gelang –, öffnete sich in der Fassade der Gendarmerie, direkt über den Resten der heruntergeschlagenen Insignien der Republik, ein Fenster, und ein kahlköpfiger Beamter mit dichtem Schnurrbart und goldener Fourragère, ein Telefon am Ohr, erschien. Preising sah hoch, ihre Blicke trafen sich. Stets überzeugt, es lohne sich, mit den lokalen Autoritäten auf gutem Fuß zu stehen, winkte er leutselig hinauf. Der Beamte hob zur Antwort militärisch zwei Finger ans kahle Haupt, beendete sein Telefonat, nestelte eine Packung Boussetta aus der Brusttasche und machte es sich rauchend am Fenster bequem, indem er seinen Bauch auf der Fensterbank ruhen ließ.
    Sanford bemühte sich, Preisings Aufmerksamkeit wiederzuerlangen und tischte die Geschichte vom traditionellen berberischen Hochzeitsmahl auf, welches im Wesentlichen aus einem gebratenen Kamel mit Couscous bestand. Das am Stück gebratene Kamel allerdings, so dozierte er, sei aufs Raffinierteste in der Art einer russischen Matroschkapuppe gefüllt mit einem ganzen Hammel, welcher mit einer Ziege, die wiederum mit einer Trappe und jene mit einem Dutzend mit Berberitzen und Datteln gefüllten Wachteln gefüllt sei. Preising misstraute der Geschichte. Er hatte das Gefühl, er habe sie oder Varianten davon schon anderswo gehört, und eher in humoristischen Zusammenhängen.
    Noch ehe die beiden ihren Tee ausgetrunken hatten, ja, noch ehe der Schnurrbärtige seine Zigarette zu Ende geraucht hatte, kam vor der Gendarmerie ein schwarzer Geländewagen zum Stehen. Ein junger Mann im dunklen Anzug entstieg auf der Beifahrerseite und verschwand in der Gendarmerie. Preising blickte zum Fenster hoch, doch der Raucher war verschwunden. Dafür erschien bald wieder der Mann im dunklen Anzug, setzte sich zu seinem Kollegen in den Wagen und stierte durch dunkle Brillengläser nach vorn. Der Motor lief weiter.
    Sanford zahlte, und sie verließen das Dorf auf einer schmalen Schotterstraße, die sie ins Gebirge führte.
    «Es schien mir bald», so fuhr Preising fort, «als folge uns ein Wagen. Ich muss zugeben, alleine der Gedanke daran ließ mir Schweißperlen auf die Stirn treten. Ich hatte genug von entführten Touristen gehört.» Seine Augen weiteten sich selbst beim Erzählen noch vor Schreck, und er griff kurz zur Illustration seiner Beklemmung, die ihn dazumal zweifellos erfasst hatte, mein Handgelenk. «Ich blickte zu Sanford, sah, wie er immer wieder einen Blick in den Rückspiegel warf. Offenbar hatte er den Wagen auch bemerkt.»
    «Man verfolgt uns», verkündete Preising. Ja, antwortete Sanford, diesen Eindruck habe er auch. «Sehen Sie, sehen Sie», stammelte Preising, «hätten wir nur auf Saida gehört, dann wäre jetzt Rachid bei uns. Mein Gott, wir hätten ihm niemals davonfahren dürfen. Wäre doch nur Rachid bei uns.» «Und was, bitte, versprechen Sie sich von der Anwesenheit eines Bademeisters?», fragte Sanford. Das wisse er nicht, aber die Anwesenheit eines Einheimischen sei sicher von Vorteil, wenn man entführt werde, antwortete er. Entführt, wer denn hier von Entführung spreche? Von wem denn?, wollte Sanford wissen. Al-Qaida vermutlich oder tunesische Unabhängigkeitskämpfer, war sich Preising sicher. Tunesien sei seit 1956 unabhängig, entgegnete Sanford ruhig. «Machen Sie sich nicht ins Hemd, mein Freund, das sind die beiden Anzugträger mit dem Geländewagen, die wollen uns bestimmt nicht entführen.»
    «Wer sind diese Leute?»
    «Was weiß ich, vermutlich TSWBS.»
    Ti-es-dablju-bi-es? Das klang in Preisings Ohren gar nicht gut.

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