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Frühling der Barbaren

Frühling der Barbaren

Titel: Frühling der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Lüscher
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und die Hochzeitsgesellschaft diesem Anblick auszusetzen.
    Preising hätte das durchaus auch an seinem abgelegenen Tisch sehen können, hätte er sehen wollen, was es zu sehen gab, und nicht, was er sehen wollte. Aber so stimmte er lauthals ein, in das, was er später als frenetischen Jubel beschrieb.
    Seine Beobachtungsgabe versagte aber nicht in jeder Hinsicht. Er bemerkte nämlich ganz richtig, dass sich das Fest in seiner weiteren Entwicklung nicht wesentlich von anderen Hochzeiten unterschied, bei denen er zu Gast gewesen war. Es wurde viel geredet, viel getrunken, viel getanzt. Was aber alles, so war es Preising aufgefallen, wiewohl es in einem Maß geschah, welches sich immer am Rande des Exzesses bewegte, in einer seltsam abgeklärten Stimmung stattfand. Man trank sich um den Verstand, als müsse es getan werden, erleichterte sich brechenderweise im Palmenhain, als arbeite man sich an einem Schema ab. Steckte sich gegenseitig die Zungen in die Münder, wie Preising indigniert bemerkte, als sei es eine Nebensächlichkeit. Getanzt wurde zugleich mit einem Übermaß an Körperlichkeit und Coolness, gelacht wurde kurz und ironisch.
    Bald gesellte er sich zu einer Gruppe Männer an der Bar am Pool und ließ sich von Quicky, der das Wort führte, einen dickflüssig gekühlten französischen Wodka nach dem anderen aufschwatzen. Sanford trieb ethnologische Studien nach Bronislaw Malinowskis Methode der «Teilnehmenden Beobachtung», indem er eine Art Stammestanz um Jenny aufführte. Preising fiel auf, wie geschmeidig sie war, wie makellos straff, wie aus einem fremden perfekten Material geschaffen. Er registrierte es eher erstaunt als interessiert.
    Pippa und auch die Ibbotsons waren bald verschwunden. Preising versuchte, ein paar der jungen Leute zu beeindrucken, indem er Sanfords Geschichte vom berberischen Kamelbraten zum Besten gab, worauf ihn zwei der Frauen nur noch mit Mister Mungo Park ansprachen. Darauf konnte er sich keinen Reim machen. Dafür verstrickte er sich in ein Gespräch mit Quicky, der sich, um nicht zu schwanken, an der Schulter eines rotgesichtigen Jünglings, der seine Funktion als Stütze selig lächelnd als eine Art Auszeichnung zu begreifen schien, festhielt. Preising konnte an Quicky ein seltsames, unergründliches Phänomen beobachten. Er erzählte stockend mit schwerer Zunge, Preising, der mit dem Rücken zur Wand gedrängt stand, mit einem feinen Spuckeregen eindeckend. Doch Worte wie Um Qasr, Nasiriyah, Rumaythah und Um Al Shuwayj kamen ihm klar und deutlich über die Lippen. Er sprach sie aus wie mystische Namen. Alles Orte, an denen er im Irak gedient hatte. Erst als Teil der Koalition der Willigen in einer SAS-Schwadron, später, weil, wie er nicht müde wurde zu bekräftigen, «way better» bezahlt, als Angestellter einer zivilen Sicherheitsfirma, die er ganz unumwunden als verrottete Söldnertruppe bezeichnete. Quicky gab einige kriegerische Schnurren von sich, von denen Preising hoffte, sie seien nicht wahr oder zumindest maßlos übertrieben. Und von der Söldnertätigkeit zur Anstellung im Handelssaal der Bank, schien es, wollte man Quickys Erzählung Glauben schenken, kein weiter Weg mehr, als Quicky, wie er sagte, genug von dem fucking Sand und den scheiß Sandalenträgern hatte. «Fragen Sie ihn nach seinem Namen, fragen Sie ihn, warum wir ihn Quicky nennen», wurde er von dem rotgesichtigen Jüngling aufgefordert. Preising tat wie geheißen, und Quicky hielt ihm seine Rechte vors Gesicht und knickte den Zeigefinger, als betätige er einen Abzug. «Deswegen», lallte Quicky, «quick trigger finger. Deswegen wollten sie mich alle, die Armee, die Firma und die Bank.» Er lachte meckernd. Im Hintergrund tanzte die geschmeidige Jenny.
    Über Preising rauschte der Wind in den Palmwipfeln, als er schwankend zu seinem Zelt ging. Fetzen von Lachen und Musik drangen an sein Ohr, als er mit nichts als einer Unterhose und Strümpfen bekleidet auf seinem Bett lag. Der Seersucker lag in einem Knäuel auf dem Berberteppich. Preising hob einen Arm, zielte mit einer imaginären Pistole auf den Punkt, an dem die Zeltstangen zusammenliefen, krümmte den Zeigefinger, dann legte er die Hand auf seine Brust, wo ihn die Speiseröhre schmerzte, und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

VI
    Während Preising schlief, ging England unter. Es hatte sich schon am Abend zuvor abgezeichnet, aber in der Nacht hatten sich die Dinge noch einmal verschlechtert. Der Interbankenmarkt im Empire war bereits

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