Fruehlingsherzen
sagen. Ich würde vorschlagen, dass ich Sie vor der nächsten Polizeiwache absetze.“
Die Furcht, die sie nie ganz überwunden hatte, kehrte zurück und löste einen Anfall von Panik in ihr aus. „Nein!“, schrie sie entsetzt.
„Nein? Falls Sie Ihre Geschichte nicht erfunden haben, waren Sie eben Zeugin eines Mords! Ich könnte mir vorstellen, dass die Polizei gern etwas darüber hören würde.“
„Oh, zweifellos. Ich wäre die Kronzeugin der Anklage. Aber wissen Sie, was mit Leuten geschieht, die bei einem solchen Mordprozess als Zeugen auftreten?“
„Sie werden als gute, verantwortungsbewusste Bürger bezeichnet.“
„Nein, sie werden Dummköpfe genannt – weil sie kriegen, was sie herausgefordert haben.“ Kyla machte eine bezeichnende Handbewegung quer über ihren Hals.
„Die Polizei weiß ihre Zeugen zu schützen. Sie würden schon dafür sorgen, dass Ihnen nichts zustößt.“
Kyla bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. „Anscheinend haben Sie nicht viel Erfahrung mit der Polizei.“
„Aber Sie schon?“
„Sagen wir, ich weiß, dass sie einen nicht immer schützen können.“ Das Bild von ihrem Stiefvater, wie er die Haustür eingetreten hatte, erstand vor ihren Augen. Damals war sie fünf Jahre alt gewesen, aber es schauderte sie noch heute, wenn sie daran dachte. Doch das waren alte Erinnerungen, die dieser Mann nie begreifen würde. „Ich gehe nicht zur Polizei. Wenn Sie mich hier aussteigen lassen, muss ich eben sehen, wo ich mich verstecke.“ Sie beobachtete ihn auf Anzeichen hin, dass er tatsächlich beabsichtigte, sie irgendwo abzusetzen. Ein Zusammenpressen seiner Lippen, ein harter Zug um sein Kinn würden bedeuten, dass er eine derartige Entscheidung getroffen hatte.
Stattdessen runzelte er die Stirn, als dächte er über andere Möglichkeiten nach.
Kylas Zuversicht nahm zu. Ihre Instinkte täuschten sie nicht. Er war auf ihrer Seite. Er würde ihr helfen, wenn er konnte.
Endlich schaute er sie an. „Nach Hause können Sie auf keinen Fall, falls es stimmt, dass die Kerle Ihre Adresse und den Schlüssel zu Ihrer Wohnung haben.“
„Richtig.“
„Ich vermute, dass Sie nicht mit einer Freundin zusammenwohnen, denn sonst hätten Sie das bestimmt erwähnt.“
„Das stimmt. Ich lebe allein.“
„Haben Sie auch keinen Freund?“
„Nein.“
Er schwieg entnervend lange. Dann fragte er: „Wohin soll ich Sie fahren?“
Weil sie darauf keine Antwort wusste, beschloss sie, es mit einer Gegenfrage zu versuchen. „Wohin fahren Sie?“
„Zu meinem Hotel.“
Da er auf die Straße zum Michigan See eingebogen war, vermutete sie, dass er in einem der luxuriösen Hotels am Seeufer wohnte. Aber das war von einem Gangster auch nicht anders zu erwarten. „Sie sind also wirklich nicht aus dieser Stadt.“
Er antwortete nicht.
„Nehmen Sie mich mit in Ihr Hotel.“
Er zögerte nur ganz kurz. „Soll das ein Witz sein?“
„Nur für kurze Zeit“, entgegnete sie bittend. „Ich brauche Zeit, um mir meine nächsten Schritte zu überlegen.“
„Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind, Ihnen sind vielleicht zwei Mörder auf der Spur, und Sie wollen in meinem Hotelzimmer bleiben?“
Ohne mit der Wimper zu zucken, schaute sie ihn an. „Ja.“
„Warum sollte ich mich auf so etwas einlassen? Vielleicht haben Sie das alles ja bloß erfunden und verfolgen Ihre eigenen Absichten damit – bei denen ich das mutmaßliche Opfer sein könnte!“
„Sehe ich etwa so aus?“
Er hielt an einer roten Ampel und musterte sie prüfend. „Ja.“
„Nun, dann irren Sie sich eben. Von mir haben Sie nichts zu befürchten.“
„Das behaupten Sie. Sehen Sie mal, dort drüben steht ein Streifenwagen. Ich winke ihn heran und …“
„Das sollten Sie lieber nicht tun!“
„Ach – und warum nicht?“
Kyla dachte blitzschnell nach. „Weil ich den Beamten dann erzählen werde, wie ich entkommen bin und vor allem, wer mir dabei geholfen hat. Und dann werden sie Sie fragen, warum Sie mit Handschuhen bekleidet in Jerald T. Johnsons Büro waren und unerlaubt in seinen Akten herumgeschnüffelt haben.“
Er umklammerte das Steuerrad fester. „Ich verstehe.“
„Eins sollten Sie sich merken, Mr Wie-immer-Sie-auch-heißen-mögen: Ich bin eine Überlebenskünstlerin.“
Er nickte seufzend. „Ja, das glaube ich gern. Mich werden Sie ganz bestimmt überleben.“ Er zögerte und sagte dann in resigniertem Ton: „Na schön. Wir fahren also zu meinem Hotel. Ich gehe damit zwar das Risiko ein,
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