Frühstück im Bett
»Jetzt reicht’s, Sugar Beth.«
»Sag ihr, sie soll dich nie wieder so nennen!«
»Wenn du nicht sofort verschwindest, prügle ich dich windelweich.«
Da riss sie sich los und stürmte die Zufahrt hinab, an ihrem rosa Fahrrad vorbei, auf den Gehsteig hinaus, in trommelnden Turnschuhen, mit rasendem Kinderherzen.
Er folgte ihr nicht.
Im Lauf der Jahre sah sie ihn manchmal mit Winnie in der Stadt. Diesem Mädchen gönnte er alles, was er ihr vorenthielt. Allmählich erkannte sie, warum er die eine Tochter der anderen vorzog. Winnie war still und brav, brachte regelmäßig gute Schulnoten nach Hause und interessierte sich genauso für Geschichte wie er. Niemals bekam sie Wutanfälle, wenn er nicht mit ihr ins Dairy Queen ging. Sie wurde auch nicht von Polizisten nach Frenchman’s Bride geschleppt, wegen Trunkenheit einer Minderjährigen. Und sie würde ihn auch nicht zu einem Herzinfarkt treiben, weil ihre Periode im letzten Schuljahr ausblieb und weil sie glaubte, ein Baby von Ryan zu erwarten. Nein, die perfekte Winnie wartete, bis Griffin starb. Erst danach ließ sie sich von Ryan schwängern. Und was in Daddys Augen am allerwichtigsten gewesen war – sie stammte nicht von Diddie.
Für seine mangelnde Liebe hatte Sugar Beth ihn nicht bestrafen können – und stattdessen Winnie bestraft.
Gordon bewegte sich am Fußende des Betts. Seufzend drehte sie sich zur Seite und versuchte wieder einzuschlafen, bevor die Erinnerungen sie auf jenem dunklen Weg noch weiter führten. Aber ihr Gehirn weigerte sich zu kooperieren.
Im letzten Schuljahr, der Poesiekurs, den Mr Byrne seinen Klassen nach dem regulären Unterricht aufgezwungen hatte …
Eins der Gedichte war dramatisiert und aufgeführt worden. Am Ende der Vorstellung hatte sich die Bühne verdunkelt, und zwei Gestalten, mit gelber Leuchtstofffarbe beschmiert, waren in einen schwachen Lichtkreis getreten. Stuart Sherman und Winnie Davis. An das Gesicht erinnerte sich Sugar Beth nicht
mehr. Sie wusste nur noch, dass sie sich umgedreht hatte, von einer seltsamen Ahnung getrieben. Und da sah sie Griffin im Hintergrund des Zuschauerraums stehen, unterhalb des Ausgangsschilds. Der Vater, der im letzten Oktober zu beschäftigt gewesen war, um fünf Minuten auf den Eingangsstufen des Gerichtsgebäudes zu warten und sie in Jimmie Caldwells altem Mustang-Cabrio vorbeifahren zu sehen, die Homecoming-Krone auf dem Kopf, hatte genug Zeit für die schauspielerische Darbietung seiner anderen Tochter gefunden.
Nun kehrte eine andere Erinnerung zurück, an einen heißen Samstagmorgen im April. Sugar Beth hatte einen Plan geschmiedet. Nach einem Poesiekurs stand sie mit Ryan und seinen Freunden auf dem Parkplatz, bis der richtige Augenblick gekommen war. Dann erklärte sie den Jungs, sie müsse ihre Wimpernbürste holen, die sie in ihrem Spind neben dem Turnsaal vergessen habe. Im fast menschenleeren Umkleideraum hörte sie eine Dusche rauschen. An diesem Tag musste sich allein Winnie gelbe Leuchtfarbe vom Gesicht, von Armen und Füßen spülen, bevor sie nach Hause gehen konnte.
Hastig kehrte Sugar Beth auf den Parkplatz zurück und stellte sich vor, das gelbe Zeug würde mitsamt Daddys unehelicher Tochter im Abfluss verschwinden. »Hört mal, der Mädchen-Umkleideraum ist leer. Seit der zweiten Klasse habt ihr damit angegeben, da würdet ihr mal reingehen. Das ist eure letzte Chance vor unserem High-School-Abschluss.«
Keinen musste sie überreden, ihr zu folgen, weder Deke Jasper noch Bobby Jarrow oder Woody Newhouse oder Ryan – die Hauptperson in ihrem Intrigenspiel. Woody und Deke suchten nach Papier, weil sie durch die Schlitze Briefchen in die Spinde ihrer Freundinnen werfen wollten. Dabei machten sie zu viel Lärm, und Sugar Beth ermahnte sie: »Vorsicht, vielleicht ist noch ein Lehrer in der Nähe.«
Und dann lief alles planmäßig. Als sie den Umkleideraum betraten, stand Winnie nackt vor ihrem offenen Spind, das nasse Haar an den Kopf geklebt, glitzernde Wassertropfen auf
der Haut. Hektisch tastete sie nach ihren Kleidern und dem Handtuch, das sie auf die Bank gelegt hatte. Aber die Sachen hatte Sugar Beth in ihrem eigenen Spind versteckt. Sogar die Handtücher waren verschwunden, die sich normalerweise in einer Ecke stapelten. Die hatte sie hinter den Schrank mit den Sportgeräten gestopft.
Die Jungs erstarrten. Aus Winnies Gesicht wich alle Farbe.
»Heilige Scheiße«, flüsterte Woody.
Winnie hätte lachend in den Duschraum zurücklaufen können,
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