Frühstück im Bett

gezählt. Aber dann war sie an die Ole Miss gegangen und hatte sie vergessen. Jetzt arbeitete Leeann als Krankenschwester, gut zwanzig Pfund schwerer als in der High School, wo sie eine der besten Sportlerinnen der Oberstufe gewesen war. Ihr hellgelbes Seidenkleid passte nicht zum Februar, eher zum Juli.
    An Merylinns hoch gewachsener schlanker Gestalt wirkte das orangerote Strickkostüm perfekt. Aber mit ihrem Make-up ging sie viel zu verschwenderisch um. Wie Tallulah ihrer Nichte geschrieben hatte, unterrichtete Merylinn an der High School Mathematik. Unvorstellbar – Sugar Beths Lieblingsgefährtin bei all den dummen Streichen – eine Lehrerin …
    Sugar Beth bemerkte, dass sie die Tür versperrte, und trat beiseite. Erst jetzt entdeckte sie die Männer. Deke Jasper, Merylinns Ehemann, hatte einige seiner kastanienbraunen Haare verloren. Aber mit seinen kantigen Zügen sah er genauso gut aus wie damals. Schon immer hatte er ein weiches Herz besessen, und sie glaubte, zögerndes Mitleid in seinen Augen zu erkennen. Leeanns Begleiter war ein adrett gekleideter kleiner Mann, der zu intensiv nach Eau de Toilette roch.
    »He, Sugar Beth, erinnerst du dich an mich? Brad Simmons.«
    Ach ja – einer der Jungs, die in keine besondere Clique gepasst hatten. Auf dem Frühlingsball in der achten Klasse hatte er sie um einen Tanz gebeten. Damals war sie in schallendes
Gelächter ausgebrochen. Dieser kleine Kerl – und sie, Sugar Beth Carey …
    Wieder einmal spürte sie Colins prüfenden Blick. Er stand nur wenige Schritte entfernt und erwartete, sie würde die Fassung verlieren. Die Lippen zusammengepresst, wollte sie die Tür schließen. Da sah sie zwei weitere Paare die Zufahrt heraufkommen. Heidi und Amy, mit ihren Ehemännern. Klar. Wenn zwei Gorgonien erschienen, konnten die anderen nicht weit sein.
    Erst an diesem Morgen hatten sich Colin und Sugar Beth angelächelt, weil Gordon in die Küche getrottet war, mit hängenden Ohren, eine leere Crackerschachtel im Maul. Jetzt hasste sie ihn für dieses Lächeln.
    Heidi Dwyer – jetzt Pettibone – hatte immer noch große haselnussbraune Augen und widerspenstige rote Locken. An ihrer Halskette hing ein Teddybär aus Sterlingsilber, auf ihrem violetten Pullover waren Bilder von Papierdrachen appliziert, die in der Märzbrise flatterten. Sugar Beth stellte sich einen ganzen Schrank voll solcher Pullover vor, passend für jede Jahreszeit und jeden Feiertag. Früher hatte Heidi Kleider für ihre Barbie-Puppen geschneidert.
    Und ihr Ehemann Phil hatte mit Ryan Football gespielt. Unverändert dünn wie in der High School, glich er jetzt einem Langstreckenläufer – gebräunt, mit sehnigem Körper.
    Im Sommer vor dem letzten High-School-Jahr hatten sie alle ihre Wochenenden am See verbracht und Bier getrunken, von einer Bedienungshilfe im Lakehouse ans Ufer geschmuggelt. Phil war schon damals Heidis Freund gewesen. Trotzdem versuchte er, Sugar Beth zu küssen. Das verschwieg sie Ryan, weil sie seine Freundschaft mit Phil nicht zerstören wollte. Aber sie hatte es Heidi erzählt, die in Tränen ausgebrochen war.
    Amy schminkte sich nach wie vor nicht. Im dezenten Ausschnitt ihres tantenhaften rosa Kleids hing eine größere Version des goldenen Kreuzes, das sie während der Schulzeit getragen
hatte. Sie war oft in Frenchman’s Bride zu Besuch gewesen, und Sugar Beth hatte zusammen mit der Freundin die arme Ellie aus der Küche verscheucht, um Kekse zu backen. Der bebrillte braunhaarige Mann musste ihr Ehemann sein.
    »Hi, Sugar Beth.« Natürlich war Amy zu fromm und gütig, um einfach an ihr vorbeizugehen wie Heidi. Aber dass sie der Sünderin verzieh, bedeutete keineswegs, sie würde die Sünde vergessen. Deshalb versäumte sie, Sugar Beth ihrem Ehemann vorzustellen. Stattdessen eilte sie schnurstracks zu Colin, und die warmherzige Begrüßung verriet, auf welcher Seite sie stand.
    Leeann winkte irgendjemandem im Wohnzimmer zu. Schon im Kindergarten war sie Sugar Beths Freundin gewesen. Dort hatte Leeann versucht, Sugar Beth ein Spielzeugtelefon wegzunehmen – ein Ereignis, das ihre Mütter noch Jahre später schildern sollten. Sugar Beth schlug ihr das Telefon auf den Kopf. Als Leeann zu schluchzen begann, heulte auch Sugar Beth. Dann schenkte sie ihr zum Trost ihre nagelneue Miss Piggy.
    Von allen Gorgonien hatte sich Leeann am schmerzlichsten verraten gefühlt, als Sugar Beth so herzlos gewesen war, ihre alten Freundinnen wegen eines gewissen Darren Tharps zu