Frühstück im Bett
noch eine Entschuldigung brachte sie nicht über die Lippen. Auf dem Weg zur Treppe glaubte sie, das Leid der ganzen Welt würde ihre Seele beschweren.
Den restlichen Nachmittag verbrachte er im Arbeitszimmer. Wann immer sie an der Tür vorbeikam, hörte sie das gedämpfte Klacken der Tastatur. Gegen Abend schob sie eine der mysteriösen Speisen aus der Tiefkühltruhe in den Backofen, stellte die Zeitschaltuhr ein und hinterlegte einen Zettel mit der Nachricht, sie würde am nächsten Morgen zurückkommen. Weil sie sich so schwach und elend fühlte, wollte sie nicht riskieren, dass er sie später im Kutschenhaus besuchen würde. Und sie fügte ein Postskriptum hinzu: »Ich habe Magenkrämpfe und möchte mich meiner Spezialtherapie unterziehen. Stör mich nicht.«
Als sie Frenchman’s Bride verließ, hatte sie ihm noch nichts von ihrem neuen Job in Jewels Buchhandlung erzählt und ihm nicht für seine Freundlichkeit auf dem Dachboden gedankt – und nichts von alldem erwähnt, was sie ihm sagen müsste.
Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, und Gordon hoppelte verdrossen voraus. Sie ließ ihn ins Haus, trat aber nicht ein. Stattdessen ging sie zu Lincoln Ashs ehemaligem Studio und öffnete das Schloss, ging hinein und versuchte sich einzureden, die Ereignisse dieses Tages würden keineswegs das Ende ihrer Suche bedeuten. Colin hatte ihr seine Hilfe versprochen. Möglicherweise würden andere Augen sehen, was ihren
eigenen entgangen war. Sie knipste die Glühbirne an, die an der Decke hing, und schaute sich um – die Leiter mit den Farbflecken, alte Farbdosen und Pinsel. Sogar durch die schmutzigen Plastikhüllen schimmerten dicke zinnoberrote Tupfer, pulsierendes Grün, Spiralen aus elektrischem Blau, dicke Streifen aus beißendem Gelb. Auf dem Teppich, der den Boden bedeckte, glichen Nägel und Zigarettenstummel, der zerbrochene Deckel einer Farbdose und andere undefinierbare Gegenstände gespenstischen Insekten, in Bernstein verkrustet.
Überall Farbe, nirgendwo das Gemälde. Und der Mann, der in Frenchman’s Bride wohnte, ließ sich nicht aus ihren Gedanken verbannen. Erfolglos bekämpfte sie ihre Verzweiflung.
»Wann wirst du diesen Unsinn beenden?«
Der Page und die Herzogin, von Georgette Heyer
14
D as Apartment über dem Laden Yesterday’s Treasures war beengt und schmuddelig, voll gestopft mit Möbeln, die sich als unverkäuflich erwiesen oder ihren Weg nach unten noch nicht gefunden hatten. Im Wohnbereich gingen zwei hohe Fenster zur Hauptstraße hinaus, an einer Ziegelwand stand eine Schlafcouch. Eine Duschkabine aus Plastik nahm eine Ecke des antiquierten Bads ein, die Kochnische hatte einen alten Kühlschrank, eine moderne Mikrowelle und einen riesigen Gasherd aus den siebziger Jahren zu bieten.
Einen krasseren Unterschied zwischen diesem Apartment und Winnies Haus konnte es nicht geben. Aber obwohl sie hier nicht gerade glücklich war, fühlte sie sich auch nicht unglücklich. Sie trug eine Tasse Tee, ihren Schlummertrunk, zu dem französischen Couchtisch, den sie aus dem Schaufenster geholt hatte, weil sie einen Platz für ihre Mahlzeiten brauchte. Blind starrte sie zur leeren, dunklen Straße hinab. Es war fast elf. Längst hatten die Geschäfte geschlossen. Im leichten Nieselregen blinkte das rote Schild der chemischen Reinigung Covner’s, und die Auslage von Jewels Buchhandlung spiegelte die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos wider. Mit ihren zweiunddreißig Jahren lebte Winnie zum ersten Mal allein. Nicht, dass sie schon sehr lange allein wäre. Die zweite Nacht lag vor ihr.
»So was Blödes!«, hatte Gigi geschrien, als sie an diesem Tag
nach der Schule in den Laden gestürmt war. »Gestern Abend hat mir Dad die ganze Arbeit aufgehalst. Wir aßen Pizza, dann musste ich die Küche sauber machen und den Mülleimer rausschleppen. Keinen Finger hat er gerührt. Er ging einfach in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür. Wann kommst du nach Hause?«
Zutiefst erschrocken über Gigis schwarzes Outfit und das Augen-Make-up hatte Winnie nicht sofort geantwortet. Ihr Baby! Sosehr sie das Ende der formlosen Heilsarmee-Phase auch herbeigesehnt hatte – darauf war sie nicht gefasst gewesen. Womit musste sie demnächst rechnen? Mit Tattoos und Zungen-Piercing?
Sie nahm einen Schluck Tee. Dass sie ins Apartment gezogen war, wussten nicht einmal die Gorgonien. Aber Donna Grimley, ihre neue Assistentin, schöpfte allmählich Verdacht.
Draußen sprang die Ampel auf Rot um, eine einsame
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