Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fruehstueck mit Proust

Fruehstueck mit Proust

Titel: Fruehstueck mit Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frédérique Deghelt
Vom Netzwerk:
gut hinzukriegen wie die Frauen deiner Generation.«
    Mamoune legte den Roman beiseite, den sie eben aufgeschlagen hatte.
    »Das hängt allein davon ab, was du selber erlebt und gelernt hast. Du, zum Beispiel, hast mich so oft mit Kindern gesehen, dass dir alles wieder einfallen wird, wenn du eines Tages selber welche hast, da bin ich mir sicher. Du wirst keine Kirsche sein, die ins Blumenkohlfeld gefallen ist …
    Erstaunt darüber, dass ihre Großmutter sie sich als Mutter vorstellen konnte, was ihr selbst noch nie in den Sinn gekommen war, setzte Jade eine zweifelnde, ja sogar ein wenig feindselige Miene auf. Mamoune beobachtete sie aus dem Augenwinkel und lächelte. Jade wechselte das Thema.
    »Habe ich dir schon erzählt, dass Rajiv mich eingeladenhat, die nächsten Ferien mit ihm in Indien zu verbringen?« Der verschmitzte Blick der Großmutter gab Jade zu verstehen, dass sie Rajivs Erwähnung keineswegs als Zufall betrachtete.

Mamoune
    W ie nur soll ich, die sonst nie einen Menschen getroffen hat, diese Begegnung bewerten und alles, was sie mir bedeutet? Als wir jung waren, beim Tanz, auf dem Feld, und im Sommer auf der Alm, hatten wir zwar auch unsere »Bekanntschaften«, aber wir waren uns schon in der Schule oder in einem Tal unserer Gegend über den Weg gelaufen. Wir kannten alle Familien in der Region, den Sohn X, die Tochter Y und auch die üblen Familiengeschichten dazu. Aus einem Nachbardorf hatten wir also nichts Unvorhersehbares zu erwarten. Das hatte nicht jenen Reiz einer überraschenden Fügung. Es war nicht die Geschichte zweier Menschen, die sich zum ersten Mal sehen und in den Augen des anderen einen aus Erinnerungen und Echos gewebten Lebensweg ahnen.
    Sollte ich mein Gedächtnis, das ich seit einiger Zeit bewache wie ein schwaches Flämmchen, eines Tages verlieren, hoffe ich, dass mir wenigstens diese Momente erhalten bleiben, die ich heute erlebe. In meinem zweiten Minutenbrief – so nenne ich die E-Mails, um zu verdrängen, wie lange ich brauche, sie zu tippen, und wie schnell sie zu ihren Empfängern gelangen – habe ich mich bei Albert Couvin bedankt und ihm bestätigt, dass ich in der Tat aus der Haute-Savoie stamme. Daraufhin lud er mich sehr höflich zum Mittagessen ein und machte mich neugierig auf eine wichtige Geschichte, die er mir erzählen wolle und die sich weder für einen Brief noch fürs Telefon eigne, sie sei, sagte er, viel zu persönlich, als dass ererwägen könne, sie zu erzählen, ohne ihr dabei in die Augen zu sehen.
    Er hatte ein schlichtes, ruhiges Restaurant gewählt, in einer kleinen Straße in Saint-Germain, in der Nähe seines Verlages. In den ersten Minuten, die wir gemeinsam miteinander verbrachten, war ich sehr eingeschüchtert. Alberts Ähnlichkeit mit Henri, die ich schon bemerkt hatte, als ich sein Foto sah, war frappierend, sowohl in seiner Gestik als auch in seinem Gesichtsausdruck. Sie verwirrte mich, aber es dauerte nicht lange, bis ich ihren Grund erfahren sollte.
    Er war der Halbbruder von Henri, Sohn der Schande und eines hübschen Zimmermädchens, und wurde vom Grafen zwar nicht offiziell anerkannt, genoss aber im Schloss dieselbe Erziehung wie der Stammhalter, dessen bester Freund er zeitlebens bleiben sollte. Nach dem Studium hatte Albert keinen Fuß mehr in die Haute-Savoie gesetzt. Henri, der achtzehn Jahre älter war, hatte ihm vor Jahren während eines Parisaufenthalts von einer lesenden Freundin erzählt. Er hätte seinem Verleger-Bruder diese Frau gern vorgestellt, die, wie er sagte, ihr Herz an die Literatur verloren habe wie an einen Liebhaber.
    Ich war ein wenig erstaunt, dass Henri mir diesen Bruder, den er offensichtlich liebte, verschwiegen hatte, aber ich sagte nichts. Im Übrigen hat er ihn mir nicht gänzlich verschwiegen, immerhin hat er mir zwei Bücher aus der Feder von Albert Couvin zu lesen gegeben; ich hatte seinen Namen wieder vergessen, nicht aber seine Bücher, denn Zitate daraus hatte ich in meinem Haushaltsbuch wiedergefunden.
    Nach diesem Bekenntnis war meine Angst wie verflogen.Ich würde mich doch wohl nicht von Henris kleinem Bruder einschüchtern lassen! Über diesen wunderbaren Menschen zu sprechen, den wir beide geliebt haben, ließ eine seltsame Vertrautheit zwischen uns entstehen. Bis dahin hatte ich niemanden, mit dem ich die Erinnerung an die schönen Momente mit Henri hätte teilen können. Ich konnte diese inzwischen für mich schmerzlich gewordene Vergangenheit nicht in angenehme Gespräche verwandeln, um

Weitere Kostenlose Bücher