Fruehstueck mit Proust
Abend ist es schon zu spät, Sie würden frieren, aber morgen gehen wir schwimmen.«
Ich protestiere.
»Aber nein, Albert, ich kann doch gar nicht schwimmen. Es gab zwar Wasser bei uns in den Bergen, Flüsse und Seen, aber ich blieb einfach nicht oben!«
»Was sagen Sie? Jeder bleibt oben!«
»Ich nicht. Ich sank bis auf den Grund. Dort wartete ich dann mit geöffneten Augen und geschlossenem Mund und hielt die Luft an, bis sie mich holten. Ich hatte keine Angst, und ich musste auch kein Wasser schlucken …«
Albert lachte und versicherte mir, nie zuvor so eine Geschichte gehört zu haben.
»Sie ist nicht erfunden. Die ganze Familie hat versucht, mir das Schwimmen beizubringen, keiner hat es geschafft. Ich habe allen erzählt, meine Knochen seien zu schwer … Ich bin sogar mit den Kindern ins Wasser gegangen, Angst hatte ich ja nicht. Die ersten Bewegungen lernten sie von mir, zum Schwimmen nahm Jean sie dann mit ins tiefe Wasser, wo sie nicht mehr stehen konnten.«
Es ist später Nachmittag, ich sitze neben Albert am Strand, betrachte den Sonnenuntergang und spüre Tränen über meine Wangen rollen. Mit einer ganz sanften Geste wischt er sie weg und reicht mir ein Taschentuch.
»Entschuldigung. Das ist wirklich zu dumm.«
Er schüttelt den Kopf.
»Nein, Jeanne, entschuldigen Sie sich nicht. Ich wäre sehr beleidigt, wenn dieser Anblick sie kalt ließe wie einer unserer Gletscher.«
Seit ich bei Jade in Paris lebe, habe ich die Natur nicht einen Moment vermisst. Aber hier, inmitten von Bäumen und Vögeln, ist es, als öffne sich die Schachtel mit den Erinnerungen. Jeden Morgen war ich aufs Neue von Wiesen und Wolken umgeben, von all der Schönheit, die die Berge uns das ganze Jahr über bieten. Vor allem haben meine Lungen sich wieder mit frischer Luft gefüllt.
Als die Sonne gänzlich im nun rot schimmernden Wasser versunken ist, zeigt Albert mir sein Haus. Es gibt kaum eine freie Wand vor lauter Büchern. Die Decken bestehen aus Holzbalken und Stein. Es ist ein altes Haus, so alt wie Albert und ich zusammen. »Den ganzen linken Flügel habe ich angebaut, weil ich mehr Zimmer brauchte«, erklärt er mir. Albert hat zwei Töchter, und wenn er von ihnen spricht, kommt ein ganz besonderer Glanz inseine Augen. Der Teil des Hauses, in dem Albert wohnt, arbeitet und schläft, ist in harmonischen Beigetönen gehalten und so möbliert, wie ein Kapitän von alter Takelage seine Kabine ausgestattet hätte. In einer Zimmerecke, fast in einem Alkoven, den man nicht sofort sieht, steht sein Bett und gegenüber ein kleiner Kamin. Im Nebenzimmer sind die Farbtöne etwas femininer, Vorhänge in Altrosa und Blau, ein Frisiertisch und ein alter Reiseschrank aus dem vergangenen Jahrhundert; ein ziemlich ungewöhnliches Mobiliar für ein Ferienhaus.
»Das war das Zimmer meiner Frau. Hier werden Sie schlafen, Jeanne, und Sie werden sich sehr wohl fühlen.«
Sein Ton duldet keinen Widerspruch, wie es scheint, hat er sich gut überlegt, wo ich während meines Aufenthalts schlafen soll.
Später, bei einem Gläschen Wein, erklärt mir Albert, dass er nach dem Tod seiner Frau angefangen habe zu kochen.
»Aber nicht irgendwie«, betont er, »ich weiß jetzt meine Hände in der Küche zu gebrauchen, ich glaube, ich hatte vorher noch nie ein Ei gekocht oder auch eine Hose gewaschen und gebügelt. In praktischen Dingen war ich absolut untauglich.«
»Aber warum haben Sie sich keine Hilfe geholt?«
»Ich wollte allein sein«, sagt Albert. »Ich konnte niemanden ertragen nach Francescas Tod. Einen ganzen Monat lang war ich in die Erinnerung unseres gemeinsamen Lebens versunken. Indem ich ihren Spuren folgte und die alltäglichen Dinge verrichtete, die immer sie erledigt hatte, verstand ich, wer sie gewesen war. Indem ich einen Hemdsärmel bügelte oder zusah, wie das Essen vor sich hin köchelte, lernte ich, meinen Geist müßigschweifen zu lassen, und entdeckte, wie viel Liebe man einem anderen durch diese einfachen Tätigkeiten schenken kann. Fast wäre auch ich gestorben! Ich kümmerte mich um mich selbst und redete mit ihr. Ich machte mich über meine eigene Unfähigkeit lustig, rief sie um Hilfe, verlor fast den Verstand. Ich glaube, indem ich meine bloße physische Existenz zu organisieren lernte, habe ich so etwas wie Trauerarbeit geleistet für das Paar, das wir einmal gewesen waren. Nach einem Monat fühlte ich mich eines Morgens stark genug, um mich wieder um meine Autoren zu kümmern, die ich vernachlässigt hatte,
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