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Frühstückspension: Kriminalroman

Frühstückspension: Kriminalroman

Titel: Frühstückspension: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Jungen.
    Ich hörte ihm gerne zu und verstand überhaupt nicht mehr, warum ich ihn bislang unsympathisch gefunden hatte. Als er Gemüse, Fleisch und Reis zum Servieren anrichtete, starrte ich gebannt auf seine feingliedrigen Hände. Ich stellte mir vor, wie er wohl eine Frau berührte. Der Gedanke schoss mir bis in den Unterleib, und ich sah schnell weg.
    Um 2 Uhr morgens kam ein schweres Polytrauma. Ein junger Mann. Er hatte über drei Promille Alkohol im Blut und noch andere Drogen. Für einen Augenblick hatte er geglaubt, er könne fliegen, und war aus dem vierten Stock vom Balkon gesprungen. Seine Freunde hatten sich vor der Schleuse versammelt und warteten. Blass und völlig verstört. Sie beteuerten, dass sich ihr Freund nicht umbringen wollte. Auf keinen Fall. Er wäre nur durchgeknallt vom Alkohol. Er wollte leben.
    Wir versuchten, ihm dabei zu helfen. Er war gleich zu uns hoch auf Station gekommen. Wir sollten ihn erst mit Blut auffüllen und den Kreislauf stabilisieren. Dann sollte er in den OP. Dort ist er nicht mehr angekommen.
    Wir haben gekämpft. Verbissen gekämpft. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Adrenalin da freigesetzt wird. Wie viel Spannung im Raum ist. Jeder will etwas tun, um sie abzubauen. Herzmassage, bis jedem der Schweiß läuft. Da ist man wie im Rausch.
    Er bekam viel Blut. Im Strahl durch eine Druckmanschette. Und es tropfte genauso schnell wieder aus ihm heraus, als bestände er aus Löchern. Jeder von uns sah, dass er tot war. Keiner hatte den Mut zu sagen: Leute, es reicht!
    Irgendwann riss sich Torben sein Stethoskop runter und donnerte es in die Ecke. Wir hörten auf. Standen um die Leiche herum. Schweigend. Der Raum glich einem Schlachtfeld. Die plötzliche Stille war schwer auszuhalten. Torben lehnte sich für einen Augenblick an die Wand. Er sah erschöpft aus und unglaublich gut. Ohne Kittel, nur in Hose und T-Shirt.
    Wir begannen aufzuräumen und sauber zu machen. Wie in Trance. Der nächste Notfall konnte jeden Augenblick angekündigt werden. Im Team ist nach so einer außergewöhnlichen Reanimation eine starke Zusammengehörigkeit. Fast eine Intimität. Und die erlebte Vergänglichkeit macht gierig, sich zu spüren, und offen für alle sinnlichen Erfahrungen.
    Torben hat mit mir den Rest von dem jungen Mann in den Keller gefahren. Das war nicht seine Aufgabe.
    Wir haben kein Wort miteinander geredet. Ich öffnete ein Kühlfach. Die kalte Luft strömte mir entgegen. Wir zogen die Metallwanne heraus auf die Hubtrage und schoben sie neben sein Bett. Wir schlugen schweigend seinen geschundenen Körper in das Laken und zogen ihn herüber. Er landete mit einem dumpfen Plopp in der Wanne.
    Ich mag das Geräusch nicht. Wir schoben ihn in das Kühlfach. Dabei habe ich jedes Mal die Befürchtung, die Wanne könnte zu viel Geschwindigkeit haben und in der Dunkelheit der Kühlkammer verschwinden.
    Wir wuschen uns die Hände. Dicht nebeneinander. Ich konnte ihn riechen. Es war eine fast unerträgliche Sinnlichkeit zwischen uns. Wir schlossen die schwere Metalltür der Obduktion und standen uns auf dem Flur im Keller gegenüber. Dann fielen wir regelrecht übereinander her. Umschlangen und küssten uns. Nein, das ist nicht richtig ausgedrückt. Es war eine heftige Knutscherei.
     
    Das war die Nacht. Sie war eine Ausnahme und hätte eine bleiben können. Wir hätten problemlos am nächsten Tag zur Normalität übergehen können. Keinerlei Verpflichtung.
    Aber Torben rief mich an. Und ich traf mich mit ihm. Viele Monate lang. Obwohl ich wusste, dass er verlobt war. Ja, verlobt. Konservativ bis zu den Nadelstreifen auf der Hose. Vielleicht hat gerade das mich gereizt. Es war ein Spiel. Ein spannendes, erotisches, und wie ich gehofft hatte, faires.
    Vor drei Monaten wurde ich trotz Pille schwanger. Da war mir längst klar, dass Torben und ich nicht für ein gemeinsames Leben geschaffen waren. Schon gar nicht für ein gemeinsames Kind. Es allein großzuziehen, habe ich mir nicht zugetraut.
    Von Torben hatte ich nur seinen Beistand erwartet. Seinen Trost. Mehr nicht. Als ich ihm den positiven Test zeigte, war sein einziger Kommentar: ›So blöd kann auch nur eine Krankenschwester sein.‹
    Von da an hatte er Angst. Angst, dass ich seine heile Welt zerstören könnte. Seine Zukunft mit der Ärztin aus München. Sie kommt aus einer bekannten Arztfamilie, und Torben will Karriere machen. Das habe ich alles von Anfang an gewusst.
    Er kapierte einfach nicht, dass ich mit ihm, dem einzigen

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