Frühstückspension: Kriminalroman
Anlauf, räuspere mich und bekomme endlich »Reinhard ist tot« heraus.
»Oh«, sagt Tomke, »das tut mir leid.«
Ihre Hand beginnt, meine Schulterblätter in kleinen, kreisenden Bewegungen zu reiben, und sie sagt sehr mitfühlend:
»Die Realität haut einen dann doch um, nicht wahr? Auch wenn man denkt, dass man sich nicht mehr liebt oder gar nicht mehr braucht. Wenn der andere tot ist, dann ist es doch anders.«
Ich sehe sie verwirrt an und verstehe kein Wort.
»Haben sie dich angerufen?«, fragt sie und lässt mich los. Ich antworte nicht. Folge nur ihren Bewegungen. Wie sie in beide Tassen zwei dicke Kluntjes legt. Den heißen Tee darüber gießt. Höre, wie die Zuckerkristalle klirrend zerspringen.
Abschließend lässt sie mit einer zierlichen Schöpfkelle den Rahm wie eine Wolke über den Tee gleiten. Sie reicht mir eine Tasse. Ich kann sie nicht halten. Tomke stellt sie auf den Tisch zurück und nimmt mich wieder in den Arm.
»Reinhard sitzt draußen im Auto. Er ist tot. Ich wusste nicht, wohin mit ihm«, erzähle ich stockend.
Tomke lockert die Umarmung und reicht mir wieder die Teetasse.
»Nun beruhige dich erst mal und trink. Das tut gut.«
Ich fahre heftig mit beiden Händen hoch. Tomke muss schnell ausweichen, sonst wäre die Tasse mit dem heißen Tee durch die Luft geflogen.
»Verstehst du nicht?«, frage ich verzweifelt. »Reinhards Leiche sitzt im Auto vor deiner Haustür.«
»Ist ja gut«, versucht sie mich wieder zu beschwichtigen. »Wir können gleich zusammen in die Klinik fahren. Ich lasse dich nicht allein.«
Ich will gerade hochfahren, sie soll mich nicht wie eine Unzurechnungsfähige behandeln, da verstehe ich endlich. Sie hängt einem anderen Gedanken nach. Was sollte sie auch anderes denken. »Ach Tomke. Nein, du verstehst nicht, du kannst es auch nicht verstehen. Der Mann im Krankenhaus ist nicht Reinhard. Tut mir leid, dass ich das nicht früher gesagt habe. Aber ich dachte, ich hätte noch Zeit, dir alles zu erklären. Sie haben einen anderen Mann als Reinhard Garbers aufgenommen. Ein Zufall. Er war ein Anhalter, den ich mitgenommen hatte. Ein Obdachloser. Der echte Reinhard stand vorhin vor der Tür, als ich spazieren gehen wollte. Wir sind rausgefahren Richtung Schillig, an den Deich. Ich war so mutig und wusste zum ersten Mal, was ich wollte. Die Scheidung. Aber er hat nur gelacht. Mir von unseren Schulden erzählt. Mich mit Sandra erpresst. Er wusste, ich würde das Sandra nicht antun. Dann habe ich ihm von Jochen erzählt, dem Mann im Krankenhaus, und er hatte die Idee, es bei der Verwechselung zu belassen. Um die Lebensversicherung zu kassieren. Um als lebender Albtraum in meinem Leben zu bleiben.
Mich weiter und weiter für immer und ewig abhängig zu halten. Ich wollte ihn nicht umbringen. Wirklich nicht. Aber er war nicht still. Er hat einfach nicht aufgehört. Er hat über mich gelacht. Wie eine Katze mit der Maus gespielt, und er war nicht still, verstehst du?«
Tomke antwortet nicht. Sie sieht mich nicht an, sondern starrt auf das Teetablett. Das gibt mir den Rest.
»Bitte, sag was. Ich kann dir das nicht so schnell richtig erklären. Ich kann mir vorstellen, wie sich das anhört«, bettele ich.
»Ich kann es wahrscheinlich nie richtig erklären. Schon gar nicht Sandra. Das Gemeine ist, für sie wäre ich geblieben. Nun hat sie einen toten Vater und eine Mutter, die eine …«
Ich kriege das Wort ›Mörderin‹ nicht über die Lippen.
»Er ist tot!«, wiederholt Tomke seltsam feierlich, steht auf und stellt sich an das Fenster. Sie dreht mir den Rücken zu und sieht nach draußen.
Ich verfolge jede ihrer Bewegungen. Wie hypnotisiert. Starre auf ihren Rücken und gäbe alles darum, zu wissen, was sie denkt.
»Willst du die Polizei rufen?«, frage ich gepresst. Ich halte die Spannung nicht mehr aus. Tomke schüttelt langsam den Kopf. Die Erleichterung lässt mich wieder weinen. Sie wird nicht die Polizei rufen. Der nächste Gedanke: »Aber was soll ich mit ihm machen? Hast du vielleicht ein Boot? Hier oben hat doch jeder ein Boot.«
Tomke dreht sich wieder zu mir herum: »Nein, ich habe kein Boot. Aber wir brauchen auch keins.«
Das hört sich an wie ein Plan. Ich hänge an ihren Lippen. Aber sie sagt nichts mehr.
»Nun sag doch endlich! Was soll ich machen?«, dränge ich sie.
»Langsam«, sagt sie beschwichtigend. »In der Langsamkeit liegt die Kraft.«
»Aber wir haben keine Zeit für Langsamkeit!« In meiner Aufregung schreie ich Tomke heftig an und
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