Frühstückspension: Kriminalroman
erkenne das Leder in seiner Brusttasche und lasse sofort wieder los. Als hätte ich mich verbrannt. Ich habe seine Körperwärme gespürt. Wie lange kann ein Leichnam die Temperatur halten?
Für einen Augenblick überfällt mich die irrsinnige Idee, er könne noch leben. Mich zum Narren halten und gleich wie ein Stehaufmännchen hochschnellen. Und mich töten. Er hätte das perfekte Alibi. Offiziell liegt er auf der Intensivstation in Wilhelmshaven.
Hör auf, Teresa. Seine Augen waren leer und tot. Du hast sie selbst geschlossen. Du hättest einen Reflex wahrgenommen. Soviel Körperbeherrschung hat niemand. Nicht einmal Reinhard. Ich zwinge mich, einen Moment still neben ihm sitzen zu bleiben und lausche in die Stille. Aber ich höre nur mein Blut rauschen und meinen eigenen viel zu schnellen Atem.
Als ich zum zweiten Mal an dem Haus vorbeifahre, lässt jemand die Außenrollos herunter. Ob sie mich gesehen haben? Sich vielleicht wundern? Worüber sollten sie sich wundern? Weil jemand zweimal an ihrem Haus vorbeigefahren ist? Die Menschen hier sind schließlich Touristen gewöhnt.
Als ich langsam durch Schillig fahre, ist mir längst klar, wohin ich will. Zu Tomke. Obwohl das verrückt ist. Sie ist eine verständnisvolle, wundervoll warmherzige Frau. Aber einen Mord? Ich muss mich konzentrieren, um den Wagen zu lenken. Sicher zu wirken. Nicht riskieren, dass ich angehalten werde. Jetzt nur nicht durchdrehen. Reinhard sieht neben mir aus, als würde er, in die Jacke eingekuschelt, schlafen. Niemand wird uns beachten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stehe ich in Tomkes Einfahrt. Ich hätte es keinen Meter weiter geschafft. Aber geschafft habe ich noch gar nichts. Wie soll ich ihr erklären, dass ich gerade meinen Mann umgebracht habe?
Kann man das überhaupt erklären? Sie wird mich für ein Monster halten. Oder für eine Wahnsinnige.
Ich sollte Reinhard irgendwo verscharren. Dazu bin ich nicht in der Lage. Ich will nur noch zu Tomke. Wenn sie die Polizei ruft, werde ich flüchten. Egal wohin. Einfach weg.
Mit steifen Beinen steige ich aus. Kein Blick mehr zur Seite. Ich hoffe, dass Tomkes Mann noch immer schläft oder fernsieht. Alles andere, nur nicht mit Tomke zusammensitzt.
Vor der Haustür suche ich vergeblich nach dem Schlüssel. Ich habe ihn im Handschuhfach vergessen. Nichts könnte mich dazu bewegen, noch einmal zurückzugehen. Meine Hände zittern. Ich muss meine rechte Hand mit der linken festhalten, um den Klingelknopf zu drücken. Bitte mach auf, Tomke! Bitte lass mich nicht allein! Da geht die Tür auf und ich falle in ein schwarzes Loch.
Ein scharfer Geruch kribbelt in meiner Nase. Schnaps. Angewidert ziehe ich den Kopf weg und öffne meine Augen. Über mir das besorgte Gesicht von Tomke. Ich schließe und öffne noch einmal die Augen. Kein Traum. Ich liege mitten auf dem Flur. Auf dem Teppich. Betrunken? Wann habe ich so viel Schnaps getrunken?
»Es riecht ekelhaft«, murmele ich und Tomke nickt zufrieden.
»Ja, aber er war schneller zur Hand als mein Parfüm.«
Ich überlege weiter und die Erinnerung kommt schneller, als mir lieb ist.
Reinhard lacht. Überall Blut. Ich fahre hoch. Tomke drückt mich energisch zurück.
»Mal langsam. Erst in Ohnmacht fallen und dann gleich wieder losrennen. Komm, ich helfe dir. Was ist denn überhaupt passiert?«
Ihre Fürsorge tut gut. Ich möchte sie nicht verlieren. Schwerfällig taumele ich an ihrem Arm ins Wohnzimmer. Sie platziert mich auf dem Sofa.
»Ich brühe uns einen Tee auf«, sagt sie und lässt mich allein. Dafür bin ich dankbar. Ich brauche Zeit. Zeit, die mir auch nicht weiterhelfen wird. Reinhard ist nicht wieder lebendig zu machen. Warum habe ich nicht aufgehört, auf ihn einzuschlagen? Warum ist es überhaupt so weit gekommen? Meine Gedanken machen unnötige Umwege. Teresa, er ist tot. Du hast es so weit kommen lassen.
Tomke kommt mit einem Tablett zurück. Sie hat sich umgezogen und trägt eine ihrer geliebten Caprihosen und ein rosa T-Shirt mit einer Babykopfapplikation. Ich lächele sie dümmlich an.
»Du weinst ja«, höre ich Tomkes Stimme und spüre gleichzeitig, dass Tränen über mein Gesicht laufen. Sie stellt das Tablett auf dem Beistelltisch ab und setzt sich neben mich. Ihre Arme umschließen mich. Ich lehne mich scheu gegen ihren Busen. Ihre Hand beginnt, sanft meinen Nacken zu massieren. So möchte ich sitzen bleiben. Für immer.
»Nun sag schon!«, fordert sie mich resolut auf.
»Was ist passiert?«
Ich nehme
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