Fuchs, Du Hast Die Gans Gestohlen
wurde es wieder laut. Jetzt schien alles mit größter Eile zu geschehen. Gesichter in der Menge, die erstarrt gewesen waren, wurden wieder lebendig. Körper bewegten sich wieder, wie von einem Stromstoß getroffen. Sie drängten vorwärts, bildeten einen Kreis um die hingestreckte Gestalt und wichen erschrocken zurück.
Pringle bellte die klassische Formel: »Lassen Sie mich durch, ich bin Arzt!« und stürmte über den Platz, Hunde und Pferde stoben auseinander, sein Dufflecoat flatterte zu beiden Seiten wie große braune Schwingen.
Blazer war reiterlos davongestürmt, die leeren Steigbügel flogen, die Zügel hingen herunter. Jemand
– Meredith sah, daß es Fearon war – packte die Zügel. Es mußte jedoch eine automatische Reaktion gewesen sein, denn er schaute auf die reglose Gestalt hinunter und schrie: »Harriet!«
Die Demonstranten standen entsetzt herum, plötzlich alle sehr jung und verschreckt, und drängten sich, ein elendes Häuflein, hinter ihrem Transparent. Der bärtige junge Mensch stand allein über seinem Opfer, scheinbar in eine Siegeseuphorie versunken. Wie ein siegreicher Boxer drehte er sich um und hob, noch immer sein Plakat schwenkend, beide Arme. Constable Jones kam angelaufen, der Master of the Hunt stieg vom Pferd und ging auf die verkrümmt auf dem Pflaster liegende Gestalt zu. Markby setzte sich in Bewegung, und die Menge wich schweigend zurück. Sogar die Hunde schienen zu spüren, daß etwas nicht stimmte, und wurden still, klemmten die Schwänze zwischen die Hinterbeine und beobachteten.
Pringle hatte Harriet als erster erreicht und kniete neben ihr nieder. Markby stand hinter ihm. Constable Jones hielt die Menge in Schach, und er rief ihr zu: »Rufen Sie einen Krankenwagen!«
»Steh auf, Harriet«, flüsterte Meredith sinnlos. »Beweg dich – bitte beweg dich … Beweg nur die Hand …«
Doch es war offensichtlich, daß Harriet nicht aufstehen und sich in den Sattel schwingen würde. »Hat sie sich etwas gebrochen?« fragte eine Stimme in der Menge ängstlich.
Pringle blickte zu Markby auf, der sich zu ihm niederbeugte. Er sprach leise, aber in der Stille, in die die Worte fielen, wurden sie nur allzu deutlich gehört.
»Sie ist tot«, sagte er. Während er sprach, breitete sich eine Pfütze dunklen Blutes unter Harriets herrlicher roter Mähne aus.
Das Klapp-Klapp von Hufen klang in der noch tieferen Stille, die Pringles Worten folgte, beinahe wie ein Schuß. Rupert Green kam herangeritten. Er blickte auf Harriets reglosen Körper hinunter und nahm seinen Zylinder ab. Das traditionelle, jedoch so unerwartete Zeichen der Achtung vor dem Tod schockte Meredith fast mehr als alles, was bisher geschehen war. Die anderen Reiter, die alle wie betäubt aussahen, schienen von Greens Geste aufgeschreckt worden zu sein und taten es ihm jetzt nach. Fearon, dessen dunkelhäutiges Gesicht unter der Sonnenbräune gespenstisch bleich war, nahm langsam die Jagdkappe ab – als letzter und mit einem zornigen Blick auf Green, als habe er das Gefühl, der Finanzier habe der leblosen Gestalt keinen Respekt gezollt, sondern sie irgendwie beleidigt.
Den Zylinder an die Brust gedrückt, beugte Green sich aus dem Sattel zu dem bärtigen jungen Mann, der von den beiden Constables festgehalten wurde.
»Du hast sie getötet«, sagte er in kaltem und anklagendem Ton. »Du hast sie getötet, und das wolltest du auch.«
»Einen Augenblick – «, begann Markby.
Doch er kam nicht weiter. Ein Klappern von Metall und das Klirren von Glas ließ alle herumfahren. Ahnungslos war die Kellnerin mit einem frischen Punschvorrat aus dem Hotel gekommen. Harriets Leiche lag direkt in ihrem Blickfeld. Prompt hatte sie das Zinntablett fallen lassen, und ihre schrillen Schreie stachen wie Nadeln in die kalte Winterluft.
Geoffrey Haynes, von Meredith vergessen und eine Zeitlang von ihr nicht gesehen, ging auf die Kellnerin zu und gab ihr eine Ohrfeige. »Hören Sie auf, Sie dummes Frauenzimmer!« befahl er.
»Schon gut, Sir, schon gut, ich kümmere mich um sie.« Constable Jones schob ihn energisch beiseite.
Aus der Ferne, aber immer näher und lauter, hörte man die Sirene des Krankenwagens. Er hätte sich nicht beeilen müssen.
»Ich sage Ihnen, ich konnte doch nicht wissen, daß sie herunterfallen würde, oder?« beteuerte Simon Pardy zum dritten- oder viertenmal mit dem anscheinend von ihm bevorzugten aggressiven Unterton, mit dem er auf jede Bemerkung reagierte. Er begleitete seine Worte mit einem herausfordernden
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