Fuchserde
schrie einen jungen Mann an, der daraufhin eine abfällige Handbewegung machte und seinen Sessel von ihr abwandte. Unter dem Tisch der beiden lagen Stechapfelsamen.
Am nächsten Morgen fand Frida vor ihrer Haustür einen abgerissenen Teil braunen Packpapiers. Darauf lag, zum Beschweren, ein Kieselstein. Frida griff nach dem Zettel. Zügig geschriebene Blockbuchstaben gaben Nachricht:
B IS MORGEN BEIM T EICHFEST .
Frida rannte ins Haus zurück, jauchzte und küsste ihre Großmutter auf die Wange. Noch mehr aber als darüber, dass ihr Werben die gewünschte Reaktion hervorgerufen hatte, freute sie sich, dass sie ihren Mann richtig erkannt hatte. Er war tatsächlich der Wolf, den sie in ihm gesehen hatte, das stand nun fest. Nicht nur, dass Lois so frech und souverän gewesen war, keinen Absender auf die Nachricht zu schreiben. Er bat sie auch nicht mit höflichen Schnörkeln zum Fest. Er bestellte sie dort hin. Er war ein Leitwolf.
Und diesen Wolf würde sie nun zu ihrem machen. Gestern im Wirtshaus hatte sie mit Raffinesse die Falle ausgelegt. Nun ging der Wolf wie geplant geradewegs auf sie zu. Jetzt galt es, keinen Fehler zu machen. Wichtig war, nur ja nicht leichtsinnig zu werden. Jetzt musste er in die Enge getrieben werden, bis er nicht mehr anders konnte als in die Falle zu tappen, bis er gar keine andere Wahl mehr hatte als: sie unsterblich zu begehren.
»Lass uns Liebeskekse backen«, sagte Frida zur Großmutter und diese kicherte schelmisch, da auch sie in ihrer Jugend das alte Rezept angewandt hatte, um den Ihren vor lauter Begierde an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Wie das Rezept es vorschrieb, goss sich Frida einen Schöpflöffel Flusswasser, das zuvor mit einem rohen Ei vermischt worden war, über ihre nackte Brust. Das beim Bauchnabel wieder aufgefangene Wasser träufelte sie behutsam auf die Kekse. Ihre Großmutter gluckste dazu – vor lauter Freude über ihre Mittäterschaft.
Beim Fest am nächsten Tag sprach Lois sie an. Sie tanzten, flirteten, rochen aneinander und als Lois sie spät Abends bis vor die Haustür begleitete, widerstand sie dem Drang, ihn zu küssen. »Wenn ein Fisch nach dem Köder beißt, reiß nicht zu schnell an der Angel«, hatte Fridas Vater sie oft gemahnt. »Du musst den entscheidenden, etwas späteren Augenblick abwarten, bis er sich wirklich festgebissen hat und nicht mehr loslassen kann. Dann hast du leichtes Spiel.« Als Lois nach ihren Hüften griff und Frida an sich zog, hielt sie ihn sanft von sich. »Wir sehen uns morgen«, flüsterte sie und steckte ihm den letzten Keks in den Mund.
* * *
Die Frauen hatten hei den Jenischen in der Regel für alles zu sorgen: Kinder aufziehen, Wäsche flicken, hausieren gehen, Essen besorgen und kochen. Der Mann war dennoch das Oberhaupt der Familie. Eine alte jenische Frau erzählt sinngemäß: »Nach außen haben die jenischen Frauen den Mann den Pascha spielen lassen, da war er wie Gott und hat sich auch so gefühlt. Die jenische Frau hat es verstanden, ihren Mann gut leben zu lassen. Im Haus aber haben die Frauen das Sagen gehabt.«
Charakteristisch für die Fahrenden war zudem, und ist bei vielen auch heute noch, ihre starke Verbundenheit mit der Natur, ihr natürlicher Zugang zu Magie und ihre Vorliebe für Märchen.
Mit der Natur waren sie stets eins, weil sie ihr Zuhause war. Alles hier gab ihnen Zeichen und Anhaltspunkte für das tägliche Leben: die Vogelrufe, die Form und die Bewegung der Wolken, die Träume vor dem Erwachen, die Vorahnung beim Aufschlagen der Augen, das Glitzern in den Spinnweben, das Verhalten der Tiere vor Anbruch des Sturms, die Gerüche vom Moor her. Manche deuteten sogar die Art des Summens und Singens des aufkochenden Teekessels. Weil die Fahrenden zudem gläubig waren und den Schöpfer der Welt und des Kosmos ehrten, erkannten sie überall in der Natur seine kleinen und großen Wunder, die sie gebührend priesen. Diese Hochachtung verbanden sie mit einem Wissen um Heilkräuter, das sie sich wohl oder übel über Jahrhunderte aneignen mussten, da ihnen für Arztbesuche das Geld fehlte und sie zudem oft in Gebieten unterwegs waren, in denen es keine ärztliche Versorgung gab. Märchen wiederum schätzten sie, weil sie es verstanden, sich den wahren Kern darin zunutze zu machen. Und Worte wie Hexerei oder Magie waren für sie nichts anderes als Umschreibungen für natürliche Kräfte. Denn im Universum sei alles fix eingeschrieben. Der Mensch glaube bloß, Dinge zu erfinden. In
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