Fuchserde
Wirklichkeit entdecke er nur. Zufälle und Wunder gebe es nicht. Alles, was geschehe, liege in der natürlichen Ordnung der Dinge begründet.
* * *
Als ich deine Urgroßmutter das erste Mal sah, fand ich sie unbeschreiblich anziehend. Ich fürchtete nur, dass sie verrückt war. Ich war gerade beim Greißler, da kam sie herein, sah mich an und rannte dann davon, als habe sie der Teufel geritten.
Das nächste Mal sah ich sie im Wirtshaus. Ich trank gerade ein Bier, da wehte sie in die Stube wie ein Sommerwind, begleitet von Hunderten bunten Schmetterlingen, die um sie tanzten und sich mit ihr vereinten. Ab diesem Moment war in mir nichts mehr so, wie es bisher gewesen war. In dieser Sekunde wusste ich, dass ich sie haben musste. Du wirst es nicht glauben, aber sie bestellte sich tatsächlich einen Schnaps. Dieses Weib kam alleine ins Wirtshaus und bestellte sich an der Schank einen Schnaps. Diese selbstverständliche Unverfrorenheit, diese Glut, die in ihr brannte, machte sie für mich unwiderstehlich.
Anfangs konnte ich gar nicht glauben, was die Leute in der Gegend über Frida erzählten: Dass sie noch keinen an sich herangelassen habe, weil ihr keiner gut genug sei, und dass sie deshalb als eiserne Jungfrau sterben würde. Als diese Jungfrau die Wirtshausstube verließ, warf sie mir einen auffordernden Blick zu, der von mehr Erfahrung zeugte, als ich mir selbst je zugetraut hätte. Mich verunsicherte, dass Frida zehn Jahre älter war als ich. Warum sollte sie es gerade auf mich abgesehen haben, vielleicht wollte sie mich ja auch nur zum Gespött der Gegend machen. Genau davor warnten mich alle. Die Männer erzählten mir, ich sei nicht der Erste und würde nicht der Letzte sein, den sie vor den Kopf stoßen würde. Sie rieten mir von ihr mit energischen Worten ab, die verschwörerisch klangen, nach Verbrüderung und nach Freundschaft, was mich misstrauisch machte. Sie wollten es wohl dabei belassen, dass keiner sie haben konnte. Jedenfalls solle ich mich zu meinem eigenen Wohl nur ja fern halten von ihr. Einem von ihnen habe sie sogar die Zähne ausgeschlagen.
Noch in derselben Nacht legte ich deiner Urgroßmutter einen Zettel vor die Tür. Ich schrieb meinen Namen nicht darauf, denn ich dachte mir, wenn ihre Blicke ernst gemeint waren und wirklich mir gegolten haben, muss sie wissen, von wem der Zettel ist. Außerdem wollte ich ihr Sicherheit und Stärke signalisieren. Deshalb schrieb ich auch keine blumigen Worte, sondern nur Zeit und Ort des Treffens. Sie sollte wissen, dass ich es sein würde, der die Hosen anhat. Weißt du, mein kleiner, schlauer Fuchs, eine Frau will spüren, dass ihr Mann Stärke besitzt. Nur so fühlt sie sich aufgehoben und wohl behütet. Nur wenn sie Gewissheit hat, einem Wolf zu gehören, wird sie sich ihrer Liebe stets sicher sein. Dann, und nur dann, kann er ohne Bedenken auch Verletzbarkeit und Schwäche zeigen und sich entspannt ihrem Trost hingeben.
Noch nie zuvor hatte ich mich auf ein Treffen so gründlich vorbereitet wie an jenem Abend, an dem ich hoffte, deiner Urgroßmutter beim Teichfest zu begegnen. Nachdem ich mich rasiert und gebadet hatte, rieb ich meinen Nacken, meine Lenden und mein Geschlecht, wie schon meine Vorväter es an bedeutenden Abenden getan hatten, mit Hirschtalg ein. Auch du, mein schlauer Fuchs, wirst die stärkende und wohltuende Wirkung dieses Rituals bald zu schätzen wissen. Ich strich meine Haare mit Brillantine nach hinten und zog mein Sonntagsgewand an: meinen schwarzen Anzug, den ich vom Vater übernommen hatte, und die schwarzen Schuhe, ohne Socken. Bei meinem weißen Hemd ließ ich die beiden oberen Knöpfe offen, sodass meine gebräunte Brust zu sehen war. Lach nicht, mein kleiner Fuchs. Das mögen die Frauen. Auch heute noch. Und auch, wenn sie es nicht zugeben wollen. Zuletzt aber, mein kleiner, schlauer Fuchs, und das war neben der Einreibung mit Hirschtalg das Wichtigste, nahm ich das lederne Hirscharmband aus jenem Packpapier, dessen andere Hälfte ich beschrieben vor Fridas Tür gelegt hatte und die, so hoffte ich, möglichst lange von ihren Händen berührt worden war. Denn dadurch würde die anziehende Wirkung des Hirschleders zusätzlich verstärkt werden. Mein Vater war es gewesen, der mir das Band vorzeitig bei meiner Volljährigkeit vererbt hatte. Ich hatte ihm damals versprechen müssen, es erst dann zu tragen, wenn ich mir sicher sei, die Richtige getroffen zu haben. Denn nur dann, hatte er mich gewarnt, würde die im
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