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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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Stube trat und die Gesichter seiner Familie sah, war er der glücklichste Mann des Dorfes.
    Frida holte Schnee, um ihn im Topf auf dem Ofen zu schmelzen und damit den zerteilten Fasan zu kochen. Eine Stunde später legte sie allen vier Kindern, Lois und sich selbst ein gleich großes Stück auf die Teller. Darüber goss sie die Suppe, in der sie den Fasan gekocht hatte. Das Fleisch duftete nach Wacholderbeeren und Kraft, nach Thymian und Leben, nach Rosmarin und Glück.
     
    »Versprich mir Papa, dass du das Pferd nicht schlachtest«, sagte Maria, das jüngere der beiden Mädchen, nachdem alle den letzten Tropfen Suppe aus ihren Tellern geschleckt hatten.
    Lois lachte, als hätte er noch nie daran gedacht, ihr Pferd als letzte Reserve zu opfern, um seiner Familie Essen zu beschaffen. »Aber Maria, ich schlachte doch nicht unser Pferd! Wer sollte denn sonst unseren Wagen ziehen, wenn wir im Hitzling* wieder auf Reisen gehen!«
    »Gut«, sagte Maria zufrieden, nickte und steckte ihre Stupsnase noch einmal in den blitzblanken Teller, um ihn erneut abzuschlecken.
    »Teilen wir uns noch das letzte Stück Fasan?«, fragte Heinzi, ihr Jüngster, denn er hatte gesehen, dass seine Mutter ein großes Stück beiseite gelegt hatte.
    »Nein, das letzte Stück heben wir für morgen auf«, antwortete Frida und klang dabei nicht streng, sondern liebevoll. »Weißt du, wir müssen Vorsorgen. Weil immer kann man nicht so viel Glück haben, wie wir es heute hatten. Heute hat es der Herrgott besonders gut mit uns gemeint.«
    »Aber du könntest es aufhängen«, sagte Lois zu Frida, nachdem die Kinder einsichtig genickt hatten und ein bisschen traurige Stille in der Luft lang.
    »Ja, Mama!«, überschlugen sich die Kinder. »Häng es auf! Bitte häng es auf!«
    Frida verdrehte Richtung Lois die Augen und musste dann doch lächeln. Sie nahm das zuvor eigens aufgehobene Stück Fasanfleisch, band es an ein Stück Spagat und befestigte das andere Ende der Schnur am Haken über dem Küchentisch. Darunter stellte sie einen Teller, damit das bisschen Saft, das womöglich hinuntertropfte, aufgefangen würde. Die Kinder wetzten auf ihren Holzsesseln hin und her, beugten sich über die Tischplatte und griffen gierig nach den dünnen Scheiben trockenen Brots, die ihnen Frida reichte. Dann drückten sie heruntergebrochene Brotstücke gegen das duftende Fleisch, um möglichst viel von dessen Geschmack abzubekommen. Das Besondere an dieser Art des Essens war, dass die Kinder stets einen zweiten Mitesser auf der anderen Seite des Tisches brauchten, um das Brot auch wirklich tief in das an der Schnur baumelnde Fleisch pressen zu können. Damit war sichergestellt, dass nicht eines der Geschwister mehr vom Saft bekam als ein anderes. Und es war auch eine kluge Methode, den Kindern Brüderlichkeit beizubringen. Denn ohne Mitesser auf der gegenüberliegenden Seite wich das an der Schnur hängende Fleisch sofort aus, gab nach, rollte zur Seite und ließ sich, wenn es angetupft wurde, kaum etwas von seinem Geschmack entziehen. Am besten funktionierte das Eintunken, wenn alle vier Geschwister gleichzeitig und von allen vier Seiten ihr Brot gegen das Fleisch drückten.
     
    »Mama, warum geht es uns heute so gut?«, fragte Heinzi mit roten Backen, als sie alle vier gleichzeitig ihren letzten Bissen Brot gegen das Fleisch pressten. Frida sah Lois tief in die Augen, und auch sie spürte ein Ziehen ums Herz. Es tat ihnen so gut, ihre Kinder glücklich zu sehen. Wenn es auch nur Momente waren. Denn sie beide wussten um den Ernst der Lage. Die Essensvorräte würden den sich dahinschleppenden Winter über nicht reichen, der Brennstoff schon gar nicht. An Arbeit im Steinbruch war für Lois bei diesem Wetter nicht zu denken. Arbeitslosenunterstützung bekam er auch nicht mehr. Noch aber mussten Lois und Frida die Kinder mit ihren Sorgen nicht belasten. Wenngleich die beiden Älteren ihre Gedanken bereits teilten, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren.
    »Warum es uns so gut geht, willst du wissen«, lachte Frida und streichelte ihrem Kleinsten über sein struppiges, braunes Haar. »Wisst ihr, Kinder«, sagte Frida dann und beschrieb mit ihren Händen ganz langsam einen weiten Kreis: »Die große Glücksgöttin im Himmel über uns tanzt im Sternengewand auf ihrem großen Schicksalsrad. Was oben ist, rutscht so wieder hinunter, und was unten ist, kommt von neuem herauf. Wer seine guten Eigenschaften verliert, der kann sich niemals lange oben halten. Wer aber auf

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