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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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würde oder ob warme Winde vom Süden her das Gesicht des Winters zum Weinen bringen würden. Wir fühlten es an der Wolle der Schafe, rochen es am Morgenwind, sahen es am Abendhimmel, erkannten es an der Sammelwut der Eichkatzerln* und am Wuchs der Haselnüsse. Einmal, an einem wunderschönen, sonnigen Tag, da zeigte Frida nach oben auf die Krone der Erle vor unserem Haus und sagte »Wir müssen noch mehr Holz sammeln gehen«. Ich sah nach oben und antwortete: »Dass der Biberling* uns heuer so wenig Zeit lässt!« Die Gadsche im Ort hielten uns für verrückt, weil wir beim wunderbarsten Herbstwetter, das so vielversprechend schien, Unmengen an dürren Ästen aus dem Wald zerrten. Im nahen Winter darauf sind einige Gadsche, aber auch Jenische, gestorben. Es war der längste und härteste Frost, den wir je erlebt haben. Noch dazu kam er so zeitig wie noch nie. Frida und ich waren vorgewarnt gewesen: Die Stare in der Erle vorm Haus hatten es uns angezeigt, weil sie sich viel früher als sonst zum Abflug gesammelt hatten.
     
    Dieser Winter war schlimmer als alle anderen zuvor. In der ganzen Gegend konnten die Fuhrwerke nicht ausfahren. Wege und Straßen waren teils mannshoch vom Schnee begraben. Und weil das Viehfutter, das im Hitzling eingebracht worden war, nicht ausreichte, mussten die Bauern ihre Tiere notschlachten. Die Menschen litten Hunger, weil fast niemand hier heroben Arbeit hatte. Der Frost und der Hunger machten die Menschen schwach wie dürres Gras. Die geringste Krankheit knickte sie. Viele raffte dieser Winter dahin. Und wenn Frida nicht so oft mit ihren Heilkräutern ausgeholfen hätte, wären sicher noch viel mehr gestorben.
    Obwohl wir viel Torf und Holz gehortet hatten, stellte es sich als zu wenig heraus. Deshalb ging Frida mit den Mädchen in den Wald, um Holz zu besorgen. Im ganzen Wald gab es keinen Ast, keinen Zweig und keinen Zapfen mehr, der am Boden lag. Die frierenden Menschen hatten den Wald leer geräumt. Es war mit Sicherheit der sauberste Wald, den es je weit und breit gegeben hat. Bäume zu fällen war bei Strafe verboten. Auch das Jagen von Wild war nicht erlaubt. Sogar betteln wurde verboten. Mit hundert Schilling Strafe wurde es geahndet. Stell dir vor, jene, denen es am schlechtesten gegangen ist, mussten dafür auch noch Strafe zahlen. Aber in Wirklichkeit betraf das ohnehin nur die Stadt. Denn bei uns heraußen gab es sowieso niemanden mehr, der etwas hätte geben können. Bei wem hätte man da betteln sollen?
    Frida fand natürlich einen Weg, zu Holz zu kommen. Gemeinsam mit den Mädchen grub sie Wurzelstöcke abgeschnittener Bäume aus dem schneebedeckten Waldboden. Hast du schon einmal versucht, auch nur einen kleinen Wurzelstock auszugraben, mein kleiner Fuchs? Es ist eine der kraftraubendsten und anstrengendsten Arbeiten. Manche Männer sind daran verzweifelt und gescheitert. Deine Urgroßmutter nicht. Frida grub diesen Winter gemeinsam mit unseren Töchtern Dutzende Wurzelstöcke aus dem eiskalten Boden. Einmal ist ihr dabei der kleine Finger ihrer linken Hand vor Kälte lahm geworden. Sie hat es mir nicht erzählt und wollte es auch nicht zugeben, als ich sie eines Abends darauf ansprach. Ich bemerkte es an der Art wie sie einen Fasan zerlegte, den ich heimgebracht hatte. Sie packte nicht zu wie sonst. Ein paar Tage später hat sich deine Urgroßmutter den abgestorbenen Finger selbst mit einer Hacke abgeschlagen. Sie wollte nicht, dass ich es mache. »Das geht dich nichts an«, sagte sie und gab mir einen Kuss, bevor sie im Schupfen verschwand.
     
    »Ein Wurzelstock ist das wärmste Holz der Welt«, sagte Maria, die ganz ihrer Mutter nachgeriet, und die schon anpackte wie eine Erwachsene, obwohl sie noch ein zierliches Mädchen war. »Dieses Holz wärmt uns nämlich drei Mal«, ergänzte sie in einer beinahe großmütterlichen Art und machte dabei ein Gesicht, als ob sie schon unendlich viel Lebenserfahrung auf dem Buckel hätte. »Drei Mal«, wiederholte sie. »Einmal wärmt es beim Wurzelstockgraben, dann wärmt es beim Auseinandersägen der Wurzelstränge und am Schluss wärmt es den Ofen.«
     
    In der wärmeren Jahreszeit nahm Frida die Mädchen auch mit, wenn sie in den Wald und ins Moor ging, um Schwammerl, Beeren und Kräuter zu sammeln. Mich und die Buben wollte sie nie dabeihaben. »Das ist Frauensache«, sagte sie nur, drehte sich um, sodass ihr langer bunter Rock flog und marschierte mit dem Korb im Arm davon, rechts und links von ihr die beiden Mädchen.

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