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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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die Gesetze von Mutter Natur achtet, der wird wie von Feenhand ins Glück gehoben.«
     
    * * *
     
    Die Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch den Börsenkrach in New York 1929, stürzte auch breite Teile der Bevölkerung in Österreich in Armut. Der Arbeitsmarkt war in der Folge des Zerfalls der Habsburger Monarchie ohnehin schon seit 1922 von chronischer Arbeitslosigkeit geprägt. Nun verschärfte sich die schwierige Situation weiter. Die Arbeitslosigkeit stieg bisweilen auf mehr als fünfundzwanzig Prozent. Erschwerend für die Menschen kam hinzu, dass nur gut die Hälfte der unselbständig Beschäftigten arbeitslosenversichert war. Jene im Waldviertler Ort Amaliendorf mussten sich zweimal wöchentlich in der fünfzehn Kilometer entfernten Bezirksstadt Gmünd melden. Den Weg legten die meisten zu Fuß zurück. Sie bekamen eine Arbeitslosenunterstützung von fünf Schilling pro Woche. Ein Laib Brot kostete damals siebenundsechzig Groschen.
    1932, zum Höhepunkt der weltweiten Rezession, bezeichnete »Das Kleine Blatt« Amaliendorf am 15 . Juni als »das Dorf des Grauens«: »900 Menschen vor dem Nichts. Lehrer, Arzt, Pfarrer und Totengräber arbeiten noch …«
    Zur wirtschaftlichen Not kamen widrigste Witterungsbedingungen. So wurden etwa im Winter 1928/1929 in Amaliendorf minus 36 Grad Celsius gemessen. Der Schnee stand meterhoch.
     
    * * *
     
    Habe ich dir schon einmal erzählt, warum früher alle Jenischen zur selben Zeit Geburtstag hatten, mein kleiner, schlauer Fuchs? Ganz einfach. Früher waren die Winter viel härter und länger als heute. Nahrung und Heizmaterial waren Mangelware. Krankheiten gab es dafür im Überfluss. Wer von unseren Leuten dennoch den Winter überstand, der hatte Geburtstag. Deshalb, mein kleiner Fuchs, deshalb hatten früher alle Jenischen zur selben Zeit Geburtstag. Und um ehrlich zu sein: Auch viele Gadsche hatten zur selben Zeit Geburtstag. Sie wussten es nur nicht.
     
    Deine Urgroßmutter Frida und ich haben viele harte Winter überstanden. Wir haben uns, nachdem wir auf jenische Art geheiratet hatten, ein kleines Holzhaus am Waldrand gebaut. Gleich in der Nähe von Fridas Verwandten. Der Boden unseres Hauses war aus Lehm, und die Fugen zwischen den Balken haben wir mit Moos ausgestopft. Es war ein schönes Haus, gerade groß genug für uns und unsere Kinder, die bald aus dem Schoß deiner Urgroßmutter ins Leben fielen. Ich weiß bis heute nicht, wie Frida das gemacht hat, aber wir bekamen exakt alle zwei Jahre ein Kind. Eines nach dem anderen. In geordneter Regelmäßigkeit. Vier wunderbare Kinder. Und wie zum Beweis, dass sie nicht nur den Zeitpunkt der Befruchtung auf den Tag genau bestimmen konnte, gebar Frida in schöner Ausgewogenheit zwei Buben und zwei Mädchen. Als erstes dachte sie natürlich an sich. Und so gebar Frida zu allererst ein Mädchen. Zwei Jahre später dachte Frida an mich und schenkte mir einen Buben, um danach wieder ein Mädchen auf die Welt zu bringen. Und dann, wieder genau zwei Jahre später, noch einen Buben: Heinzi. Er sollte unser jüngstes Kind bleiben. Denn Frida hatte beschlossen, kein neues Leben mehr auf die Welt zu bringen. Ja, mein kleiner Fuchs. So sind die Frauen. Sie beschließen so etwas ganz einfach. Ohne uns zu fragen. Sie meinen es nicht böse. Für sie ist es ganz selbstverständlich. Sie betrachten es als ihre Sache und nur als die ihre, ganz gleich, was sie uns Männern erzählen. Die meisten Frauen fassen derartige Beschlüsse im Geheimen. Oft wissen sie selbst nichts davon. Dann beschließt ihr Inneres, nicht zu gebären. Und so ist es dann auch.
    Frida und ich liebten und vereinten uns weiterhin. Aber als ich zwei Jahre nach der Geburt von Heinzi darauf wartete, dass eine weitere Tochter auf die Welt kommt, kam nichts. Ich fragte deine Urgroßmutter, wo denn das Mädchen bleibe. Und sie sagte: »Wir haben genug Kinder.« Das war alles. Ja, mein kleiner Fuchs. Das war alles. Mehr sagte sie nicht. Mehr musste sie auch nicht sagen. Sie hatte ja Recht. Unser Haus war mit Frida, mir und den vier Kindern schon eng genug und wir konnten beileibe kein weiteres hungriges Maul mehr durchfüttern. Sie sagte also »Wir haben genug Kinder«. Und ich nickte. Das war’s. Das war ihr Beschluss. Fridas Körper und ich hielten uns daran.
     
    Frida und ich wussten immer, welchen Winter wir zu erwarten hatten. Schon im Herbst hatten wir Gewissheit, ob der Schnee lange den Boden versiegeln würde, ob ich beim Jagen Eiszapfen im Bart haben

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