Fuchserde
oben, nahe der böhmischen Grenze. Aber die Menschen bei uns haben so wenig Lowi im Hosensack, dass wir beschlossen haben, diesmal weiter zu ziehen als sonst. So hat es uns hierher getrieben.«
»Ist aber auch nicht besser hier, oder?«, reagierte Luca, stocherte im Feuer herum und sah Lois dann mit einem schelmisch herausfordernden Blick an.
»Nein«, platzte Lois heraus. »Ist auch nicht besser da«, lachte er und prostete Luca zu.
»Ist auch nicht besser da«, wiederholte Luca laut, nachdem er einen kräftigen Schluck genommen hatte, »ist nicht wirklich besser da, oooh nein«, betonte er noch einmal, und dann brachen alle in Gelächter aus. Die beiden jenischen Familien lachten aus ganzem Herzen. Sie lachten und klopften sich auf die Schenkel. Manche konnten gar nicht mehr aufhören. Es drückte ihnen schon Tränen aus den Augen vor lauter Lachen. Sie lachten, weil es nichts zu lachen gab außer das Lachen. Sie lachten ihr jenisches Lachen.
Nur zwei lachten nicht. Obwohl sie genauso in der Runde hockten wie alle anderen, hatten sie den Dialog der beiden Familienoberhäupter gar nicht richtig mitbekommen: Maria und Peter. Sie waren viel zu sehr damit beschäftigt, einander in die Augen zu sehen.
Peter hatte schon allerlei Bekanntschaften mit Mädchen und jungen Frauen gemacht, keine Liebschaft hatte er ausgelassen. In jedem Ort, in dem ihr Zirkus Station machte, hatte er sein Techtelmechtel. Peter war mit jeder Eroberung gelassener, sicherer, lässiger geworden – und damit für die Weiblichkeit noch unwiderstehlicher. Sie liebten sein südländisches Aussehen, sein schulterlanges, gewelltes, rabenschwarzes Haar, sehnten sich nach seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, versanken in seinen leidenschaftlichen Augen. Sie konnten gar nicht anders, als Peter zu verfallen. Sie waren wie überreife Früchte, die zu berühren sich keiner getraut hatte, aus Vorsicht und Scham, und die nur darauf warteten, endlich von einer entschlossenen Hand gepflückt zu werden. Peter genoss sie nach Leibeskräften. Er stillte seinen Appetit, und je öfter und wahlloser er Zugriff, desto mehr verschwand sein Hunger, desto weniger schätzte er, was er bekam. Irgendwie war ihm alles einerlei geworden, und immer öfter blieb danach nur ein merkwürdig schaler Geschmack.
Als ihm Maria zum ersten Mal erschien, wurde ihm schwindlig. Ihr erster Wimpernschlag löste in ihm ein Beben aus. Dieses Beben war so gnadenlos, dass Peter seine Gemütslandschaft nicht wiedererkannte, nachdem sich der aufgewirbelte Herzens staub gelegt hatte. Als ihm Maria kurz danach gegenüberstand, ganz nahe gegenüberstand, brachte Peter kein Wort heraus, er kramte in seinen Hosensäcken, starrte sie kurz an und senkte dann den Blick. Abermals glaubte er, den Boden unter den Füßen zu verlieren, glaubte, sich niedersetzen zu müssen, das Gleichgewicht nicht halten zu können. Das Nachbeben hatte ihn mit voller Wucht erwischt. Diese zierliche, blutjunge Frau, dieses von den meisten anderen kaum beachtete Mädchen mit der Stupsnase und den Sommersprossen, diese Jenische aus dem Waldviertel, hatte Peter, den starken Peter, den stolzen Frauenheld, den stets souveränen Südländer, völlig aus der Bahn geworfen.
Maria spürte ihre Wirkung auf den hübschen, zurückhaltenden Burschen. Sie fühlte sich ihm nahe, und wegen seiner Schüchternheit, unter der er scheinbar litt und die ihm sichtlich peinlich war, tat er ihr ein wenig Leid. Deshalb machte Maria etwas, was sie noch nie zuvor getan hatte, weil Frauen das nicht zusteht, und jenischen schon gar nicht. Sie entschied sich eigentlich auch nicht dafür es zu tun, vielmehr bemerkte Maria ihr Handeln erst, nachdem sie es getan hatte, nachdem sie den auf den Boden starrenden Peter sanft an der Hand berührt hatte. Peter durchfuhr ein Schauer, der, gleich einem Blitz, von der berührten Hand nach oben in seinen Nacken fuhr und von da über seinen Kopf auf Schläfen und Stirn übergriff. Es fühlte sich an, als sei sein ganzer Körper von einer Gänsehaut überzogen. Peter sah kurz auf und versuchte Maria anzulächeln. Dann drehte er sich um und beeilte sich, Feuer zu machen. Maria schmunzelte und ging barfuß davon.
Die beiden Familien saßen an diesem Abend lange ums Feuer. Sie erzählten einander von ihrer Herkunft, ihren Ahnen. Sie sprachen über die Macht der guten und der bösen Totengeister, und sie lauschten gemeinsam der Musik der Winde und des Waldes. Nachdem sie gegessen hatten, prusteten sie je
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