Fuchserde
zwischen die Reißzähne eines ausgewachsenen, mächtigen Löwen legt und ich sag dir«, betonte er und sah plötzlich spitzbübisch drein, »sie würden auch nicht kommen, wenn ich meinen Kopf bis zum Anschlag in den Arsch des Löwen schiebe.«
»Gib nicht auf«, grinste ich ihn an. »Probier es einfach einmal.« Luca fiel die Pfeife aus dem Mund vor Lachen. Wir kippten vor Gelächter zur Seite und kugelten unter der alten Linde herum wie zwei Lausbuben. Wir waren so unbeschwert, mein kleiner Fuchs, so unbeschwert und brauchten nur einander und keinen weiteren Grund dazu.
Kaum hatten wir uns erfangen, kamen unsere Kinder von der Lichtung her gelaufen, Hand in Hand, Maria und Peter. Knapp vor uns blieben sie keuchend stehen und dann sagten sie gleichzeitig, als hätten sie es eingeübt wie eine gut einstudierte Zirkusnummer: »Papa, wir werden heute Abend gemeinsam übern Funk springen.« Dabei sah meine Tochter Maria nicht mir und Lucas Sohn nicht ihm in die Augen, sondern umgekehrt. Als sie in unseren Augen die Freude über ihre Verlobung blitzen sahen, küssten sie uns beide auf die Wange und liefen jauchzend davon. Ihre nackten Fersen flogen über die kniehohe Blumenwiese und ihr Haar sprang übermütig auf und nieder.
Wir sahen den beiden lange nach. Es war schön. Und nichts musste gesagt werden. Als Maria und Peter hinter den Zirkuswagen verschwunden waren, sah mich Luca an und blies mit einem langen, weichen Atemzug den Pfeifenrauch aus seinem Mund.
»Ja, du hast Recht«, sagte ich leise und auch mein Herz war übervoll. »Das Leben ist wunderschön.«
8.
Die erste Kugel durchfuhr Lucas Magen. Die zweite drang tief in seine Leber ein. Weil er sich noch immer auflehnte, feuerte der SS-Mann ein drittes Mal. Diese Kugel zerriss Lucas Gesicht.
Luca hatte die Tür des Wohnwagens geöffnet, nachdem im Morgengrauen wild darauf eingeschlagen worden war. Er wurde aus einem Traum gerissen. Er hatte sein Leben geträumt. Knapp bevor er aufwachte, roch er den wundervollen Mexikaner*, den die Frauen vergangenen Sommer zu Ehren von Maria und Peter und deren Verlobung gekocht hatten. Er sah seinen Sohn Peter mit Maria, der Tochter seines Freundes Lois. Sie waren glücklich, sie lachten und sie sprangen bloßfüßig mehrmals Hand in Hand übers Feuer. Sie taten es ihretwillen, und um damit allen anderen ihre Liebe zu zeigen, die nun eine ewige sein würde. Das fühlte sich gut an für Luca. Er träumte auch von der Liebe zu seiner Frau Anna und wärmte sich daran. Er fühlte den süßen Wein auf seinen Lippen und die Freude seiner Seele.
Als er öffnete, war er schlaftrunken. Vor ihm standen ein knappes Dutzend SS-Männer. Allesamt in ihren schwarzen Uniformen. Einer schnauzte ihn an: »Sofort zusammenpacken! Jeder nur einen Koffer! In fünf Minuten angetreten!«
Luca war nun hellwach. Er sah in den Kopf des groß gewachsenen Mannes. Als er in dessen Geist eingedrungen war, zwang Lucas Schrecken seine Knie kurz nachzugeben. Doch Luca fing sich. Er konzentrierte sich. Er bemühte sich, einen Ausweg zu finden. Es musste eine andere Zukunft für seine Familie geben als jene, die er im Kopf dieses Mannes gesehen hatte. Ich muss mich geirrt haben, ja, geirrt, hoffte Luca. Denn das war der einzige Ausweg, den er für sich und seine Familie fand. Dann las Luca noch einmal in den Gedanken des Mannes: Zeitvergeudung, Gesindel, dreckiges, abschlachten, auf der Stelle, auf die Weiber bin ich gespannt, Zigeunerhuren, gleich alle erschießen, kalt ist es, grausig feuchter Nebel, schnell erledigen, dann einen Schnaps im Warmen, weg mit denen, nicht lang herumfackeln, Scheiß-Gesindel, ab ins Lager, stinkendes Pack, ins Lager zum Krepieren.
Luca war nicht mehr bei sich. Er war nun in einem anderen Traum, einem neuen, ganz anderen. Er nickte, er drehte sich um, er ging ins Innere des Wohnwagens, er kam wieder und schoss dem Gruppenführer ein schweres Wurfmesser zwischen die Augen. Zweites Messer, zweiter Mann. Zwischen die Augen. Drittes Messer, dritter Mann. Zwischen die Augen. Viertes Messer. Da durchbohrte die erste Kugel Lucas Bauchdecke. Vierter Mann. Zwischen die Augen. Dann drang die zweite Kugel in Luca ein. Er spürte nichts, gar nichts. Fünftes Messer. Fünfter Mann. Zwischen die Augen. Dritte Kugel. In Lucas Gesicht. Luca sah einen Blitz. Dann fiel er zu Boden. Aus seiner linken Hand fielen drei Messer.
Die SS-Männer brüllten wie wild, sie schrien »Scheiße« und dann stürmten sie mit gezogenen
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