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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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dass wir nicht zusammengeblieben waren, wo das Leben uns doch nicht mehr hätte schenken können. Ich schrieb ihm, wie traurig und ungehalten mich das machte.
    Einen Tag später bekam ich von Luca einen beinahe wortwörtlich gleichen Brief. Er hatte ihn wohl einige Tage vor mir geschrieben. Auch er ärgerte sich über unsere Dummheit. Auch er konnte nicht glauben, wie schemenhaft wir uns hatten lenken lassen.
    Im nächsten Brief versicherten wir einander noch einmal unserer Trottelhaftigkeit und schworen uns, im nächsten Hitzling gemeinsam auf Reise zu gehen und danach unsere Sippen für immer zusammenzuführen, egal was da komme. Wir freuten uns darauf. Aber irgendwie blieb trotzdem ein Gefühl der Bitterkeit zurück. Ein Gefühl, etwas Wichtiges nicht getan zu haben und dafür nur sehr unwichtige Gründe gehabt zu haben. Und es blieb eine Ahnung zurück. Eine Ahnung, so durchdringend kalt wie der Novemberwind.
    Wenn du jemals das Gefühl hast, mein kleiner, schlauer Fuchs, etwas tun zu müssen, gleich wie ungewohnt es ist, dann tu es. Tu es unbedingt, mein kleiner, schlauer Fuchs. Denn manche Möglichkeiten kommen nie wieder. Nie wieder im Leben.
     
    Maria und Peter schrieben einander keine Briefe. Sie waren sich einig, dass Briefe ihren Trennungsschmerz nur verschlimmern würden. Sie wollten ihrer quälenden Sehnsucht nicht Brief für Brief neue Nahrung geben. Und sie wussten, dass ihre Liebe stark war und keine Briefe brauchte, um bestehen zu bleiben.
    Beim Abschied hatte Peter Maria versprochen, zu ihr zu kommen, sobald seine Familie den Höhepunkt des Biberling heil überstanden habe. Er werde aufbrechen, sobald die Sonne stärker sei als der Schnee. Er wolle nur seinem Vater noch helfen, den Zirkus aufzulösen, die letzten Geschäfte abzuwickeln. Dann, gleich dann, werde er zu ihr kommen, für immer.
    Als die Blätter den Bäumen keine Kraft mehr geben konnten, fielen sie zu Boden, um dort der Erde Kraft zu geben. Der Regen und der Bodennebel beschleunigten ihren scheinbaren Tod, und nachdem die Schneedecke auf den zerfallenden Blättern rasch dicker wurde, dachte bald niemand mehr an sie. In dieser Zeit bekam ich wieder einen Brief von meinem Freund Luca. Er begann sein Schreiben mit den Worten: »Großmutter hat unser Ende gesehen.« In ihrer Glaskugel habe sie das Ende der Familie gesehen, die Vernichtung der ganzen Sippe habe sich darin abgezeichnet, der grausame Tod aller. Vögel habe sie gesehen. Viele schwarze Vögel in einem Käfig. Die Vögel seien eingesperrt gewesen und hätten mit den Flügeln geschlagen, aus Angst und Zorn. Und mit jedem Flügelschlag sei einer von ihnen gestorben. Einer nach dem anderen. »Lieber Lois«, hat mir Luca geschrieben, »wenn diesem Brief nicht bald ein zweiter folgt, hatte Großmutter Recht. Dann werden wir uns nicht mehr wieder sehen. Sollte es so sein, sei nicht verzweifelt. Denn du weißt, der Tod ist nur unsere Rückkehr in den Schoß der Natur. Du weißt, dass ich von dort wieder zu dir komme, als Wind, als Wasser, als Erde und als Feuer. Fürchte dich nicht, mein Freund. Ich werde immer bei dir sein.«
     
    Dieser Brief, mein kleiner Fuchs, dieser Brief von meinem Freund Luca, war der letzte, den er geschrieben hat.

9.
    Vier Wochen hatte Lois zugewartet, bevor er Frida den Brief zeigte. Den Brief, in dem sein Freund Luca den nahen Tod der ganzen Familie vorausgesagt hatte. Wortlos hatte er seiner Frau das Blatt über den Tisch geschoben und seinen rechten Zeigefinger neben das alte Datum gelegt. Sie las, und dann sagte Frida, um ihre Tränen zu unterdrücken: »Wenn sie Hitler nicht aufhalten, wird man auch uns bald holen kommen.« Lois nickte.
    Minuten vergingen, dann beendete Frida das Schweigen: »Du musst es ihr sagen.«
    »Bist du sicher?«, zögerte Lois. »Glaubst du, dass es das Beste für Maria ist?«
    »Wenn Peter tot ist«, sagte Frida leise aber bestimmt, »hat sie es sowieso schon gespürt. Und wenn nicht, wird sie dem Brief keine Bedeutung geben.«
    »Warum soll ich es ihr dann überhaupt sagen?«, fragte Lois.
    »Nicht ihretwegen musst du es ihr sagen«, antwortete Frida und legte ihre Hand auf die seine. »Du musst es ihr deinetwegen sagen. Dein Schmerz zerfrisst dich sonst.«
     
    Am nächsten Abend saß Lois am Tisch und rauchte Pfeife. Maria stand beim Ofen. Sie schnitt Erdäpfel und ließ sie in den Topf mit dem Wasser fallen, den sie aufs Feuer gestellt hatte. Lois sog tief an seiner Pfeife und stieß den Rauch mit einem Stoß aus. Der

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