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Fuchserde

Fuchserde

Titel: Fuchserde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Sautner
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zweiundzwanzig Konzentrationslager mit 165 angeschlossenen Arbeitslagern. Daneben bestanden zudem zahlreiche kleinere Lager, eines etwa in Reichenau bei Innsbruck.
     
    * * *
     
    Es war das ausgelassenste und üppigste Fest, das ich je gefeiert habe, mein kleiner Fuchs. Unsere beiden Sippen aßen, tranken, rauchten, tanzten und lachten, als ob es kein Morgen geben würde. Das Fest dauerte ganze drei Tage, drei volle Nächte.
    Luca schickte seinen Schwager Fabio mit drei Männern in den nächsten Ort. Sie sollten für die Verlobung von Peter und Maria einkaufen. Luca trug ihnen auf, so viele Tiere zu verkaufen, wie nötig war, um für alle Pflam*, Korlass*, Gfunkerten, Tabak und Essen zu besorgen. Er schärfte Fabio mehr als nur einmal ein, nicht sparsam zu sein. Ein prächtiges Fest würden sie feiern und niemandem solle es auch nur an irgendetwas fehlen.
    Fabio nahm seine Aufgabe ernst. Sehr ernst. Kein einziges Tier, das ihm Luca mitgegeben hatte, brachte er wieder. Er kam mit einer Wagenladung Verpflegung zurück, für die er die gesamte Zebraherde verscherbelt hatte. Er hatte von allem nur das Beste gekauft: den feinsten Korlass, den besten Schinken, den edelsten Tabak, und von allem in Hülle und Fülle.
    Es war ein Fest ohne Anfang und ohne Ende. Wir tanzten noch im Morgengrauen. Wir schliefen, als die Sonne am Zenit stand. Schon vor der Dämmerung sprangen wir wieder zu Geigen- und Ziehharmonikaklängen ums Feuer, wild, als würde uns der Beng* reiten. Es war herrlich! Das Leben durchdrang uns. Wir ließen es durch uns strömen, wie eine mächtige Buche den Sommerregen durch ihre glitzernde Krone. Wir fielen von einem Genuss in den nächsten. Unsere Nüstern atmeten den fleischigen Rauch des Funks, unsere Münder schmeckten die Liebe und unsere Fingerspitzen fühlten den Sommerwind. Unsere Frauen waren üppig wie saftige Zuckermelonen und unsere Melodien priesen das Leben. Wir jagten hintereinander her, als seien wir Kinder, wir glitten über die Blumenwiese, als würden wir von Flügeln getragen, wir wanderten in die tiefsten unserer Täler und entdeckten immer wieder Licht.
    Dass unsere Körper diese drei Tage Saus und Braus überstanden haben, hat wohl zwei Gründe. Der erste ist, dass unsere Frauen so klug waren, stets etwas Asche vom Laubholz ins Essen zu geben. Ohne diese Medizin, die alle üppigen Speisen verträglicher macht, hätten wir wohl schon den ersten Abend nicht wohlbehalten überlebt. Wahrscheinlich wären unsere Bäuche geplatzt. Ganz sicher aber wären unsere Köpfe zersprungen, wenn wir nicht jeden Morgen unser Katergetränk bekommen hätten: pechschwarzen Kaffee mit viel Salz und dem Saft einer halben Zitrone. Ich verspreche dir, mein kleiner Fuchs, danach bist du bereit für die nächste wunderbare Dummheit.
     
    Als sich unsere Sippen wenige Wochen später trennten, um, jede für sich, die eine in Tirol, die andere im Waldviertel, das Quartier für den Biberling vorzubereiten, waren wir schwermütig und traurig. Wir fühlten uns, als ob wir etwas Unwiederbringliches verlieren würden, verlieren aus eigener Schuld, ohne dass uns jemand dazu zwingt. Wir wollten uns nicht trennen. Niemand wollte es. Aber keiner sagte es, niemand verhinderte die Trennung. Trübsinnig sagten wir nur, dass wir nun aufbrechen müssten, weil ja doch der Biberling bevorstand. Wir taten, als wäre unsere Trennung notwendig, unabwendbar, und deshalb die selbstverständlichste Sache der Welt. Es kam uns nicht in den Sinn, dass es nur unsere Gewohnheit war, die uns so denken ließ. Nicht unser Selbstverständnis, sondern nur abstumpfende Gewohnheit. Wir waren so dumm! Als ob es für die Resulattis auch nur irgendeinen Unterschied gemacht hätte, einfach mit uns zu kommen. Ich hätte Luca nur sagen müssen: »Luca, im Waldviertel ist es um diese Jahreszeit ganz genauso unmöglich, eine Arbeit zu finden wie in Tirol. Wo ist also das Problem?« Luca hätte daraufhin gelacht. Und dann hätten wir schon gesehen, wie wir uns gemeinsam durchschlagen.
    Aber nein. Beide brachten wir das Maul nicht auf. Statt dessen handelten wir wie Gadsche, mein kleiner Fuchs: Wir hörten nicht auf unser Inneres, nutzten nicht die Gelegenheit, die sich uns bot. Weißt du, was mit uns los war? Ich sag es dir: Wir waren gedanklich taub und so ließen wir uns treiben wie totes Holz im trägen Strom.
     
    Das Erste, was ich tat, als wir in Amaliendorf angekommen waren, war, einen Brief an Luca zu schreiben. Ich schrieb, wie blöd ich es fand,

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