Fuchserde
Qualm glitt über die Tischplatte, wälzte sich an der Petroleumlampe vorbei, rollte über die Tischkante, schien dahinter nach unten zu kippen, fing sich aber dann, wie von unsichtbarer Hand gestützt, und löste sich schließlich in der Stube auf.
»Na sag schon«, forderte ihn Maria auf und drehte dabei ihren hübschen Kopf über die Schulter.
»Wieso glaubst du, dass ich dir was sagen will«, fragte Lois.
»Wenn du mir nichts sagen wolltest, würdest du irgendetwas sagen«, lachte Maria. »Außerdem verschluckst du gleich deine Pfeife. Leg sie lieber auf die Seite, sonst fängt neben deinem Kopf auch ihrer noch zu glühen an.«
Lois strich mit seinen Fingern über den heißen Pfeifenkopf.
»Luca hat mir einen Brief geschrieben«, begann er ruckartig. Die Worte fielen aus ihm, als wären sie ebenso aus Granit wie die Steine, die er tagsüber behauen hatte. Lois stockte. Und dann, dann erzählte er seiner Tochter, was er ihr erzählen musste. Was in dem Brief stand, erzählte er. Und wie lange es her war, dass er ihn bekommen hatte. Nicht mehr. Kein Wort mehr. Jetzt über Ungewisses zu spekulieren habe doch keinen Sinn, quälte er sich, als er vergeblich nach tröstenden Worten für etwas suchte, das ja vielleicht gar nicht passiert war. Zumindest hoffentlich nicht passiert war. Und wenn es tatsächlich geschehen ist, überlegte Lois, dann wären weitere Worte doch noch unnützer, denn für so etwas gäbe es dann ja überhaupt keinen Trost, nein, dafür gäbe es keinen Trost, sogar wenn ihm einer einfiele. In jedem Fall, merkte Lois, könne er nun nichts mehr sagen. Also steckte er sich wieder seine Pfeife in den Mundwinkel und schielte zu Maria. Sie hatte sich die ganze Zeit über nicht gerührt, stand noch immer mit dem Rücken zu ihrem Vater beim Ofen und schnitt Erdäpfel in den Topf.
In der Stube war nur das Blubbern des kochenden Wassers zu hören. Und das satte Geräusch vom Schneiden der Erdäpfel, die vom Messer direkt ins Wasser plumpsten.
Auf einmal sagte Maria: »Peter hat versprochen, zu kommen, sobald die Sonne stärker ist als der Schnee. Er hat es mir versprochen. Mein Mann hat es mir versprochen. Und deshalb wird er kommen. Er wird kommen, sobald die Sonne stärker ist als der Schnee.«
Als sie das sagte, klang es glaubhaft und einleuchtend. Sie sagte es energisch, mit fester Stimme. Und wie zur Bestätigung, dass ausschließlich sie es war, die die Wahrheit kannte, zerschnitt sie den letzten Erdapfel nicht, sondern warf ihn mit Wucht als ganzes in den Topf. Heißes Wasser schwappte nach oben und klatschte an die Wand. Maria wandte sich ab und ging mit hartem, konzentriertem Gesichtsausdruck nach draußen. Sie nahm weder den Mantel vom Haken, noch zog sie die Holzschuhe an. Sie lief barfuss nach draußen und verschwand im verschneiten Wald.
Frida hatte mit den anderen im Nebenzimmer gewartet. Nun kam sie in die Stube und sah Lois fragend an.
»Peter lebt und er wird kommen, sobald die Sonne stärker ist als der Schnee«, sagte Lois.
»Dann wird es so sein«, sagte Frida nach kurzem Zögern und ging zum Ofen. Im Topf sah sie die Erdäpfel. Sie kochten in rotem Wasser. Daneben lag das Messer, mit dem Maria die Erdäpfel geschnitten hatte. Die Klinge war blutverschmiert.
Nur Tage später traf Lois im Wirtshaus auf den NSDAP-Ortsgruppenleiter. »Servus«, sagte Lois, worauf der Ortsgruppenleiter mit dem rechten Fuß auf den Boden stampfte wie ein zorniges Kind. »Ich hab es dir schon hundert Mal gesagt«, tobte er, »und eins schwör ich dir:
Wenn du noch ein einziges Mal den Hitlergruß nicht ordentlich machst, bist du dran. Und mit dir deine ganze Sippe.« Lois reagierte nicht, er überlegte.
»Weißt eh«, setzte der Ortsgruppenleiter fort und hob dabei sein Doppelkinn, »derweil haben wir noch alle Hände voll mit den Juden zu tun. Drum habt ihr noch eine Galgenfrist. Aber spiel dich nicht, eine Sicherungsverwahrung für dich und deine Leute ist schnell erledigt.« Schließlich gebe es, erklärte der Ortsgruppenleiter mit erhobener Stimme, damit es auch bestimmt alle in der Wirtsstube hörten, und steckte dabei seine Daumen zwischen Bauch und Hosenträger, als würde das seine Autorität unterstreichen, schließlich gebe es »das Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre«.
»Jawohl!«, setzte er brüllend nach, weil noch immer keiner der Umstehenden ausreichend Respekt zeigte, und untermauerte seine Entschlossenheit, indem er den rechten Zeigefinger
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