Fuchserde
drohend nach oben in die stickige Wirtshausluft hielt.
Lois nahm eine stramme Haltung an, salutierte und sagte ohne auch nur einen Anflug von Grimasse: »Jawohl, Herr Ortsgruppenleiter Tschukal!« Dann ließ er wieder seine Schultern hängen, nahm den Ortsgruppenleiter beiseite und flüsterte Tschukal verschwörerisch zu: »Aber du als Ortsgruppenführer kennst ja sicher das Berliner Sondergesetz betreffend die Grußvorschriften für Angehörige von fahrenden Verbänden?«
»Sicher, sicher kenn ich das«, antwortete Tschukal und tat so, als ob er etwas in seiner Rocktasche suchen würde.
»Na dann weißt du ja, dass unsereiner in der Öffentlichkeit nicht den Hitlergruß verwenden darf, weil wir herumziehenden Jenischen damit ja der Ehre des deutschen Volkes schaden würden.«
»Hm«, brummte Tschukal.
»Aber ich schlag dir was vor, Herr Ortsgruppenleiter Tschukal«, setzte Lois fort und legte Tschukal die Hand auf die Schulter. »Als Beweis, dass ich kein Volksschädling bin, kannst du ja heut Abend bei uns durchs Fenster schauen. Dann wirst du sehen, dass unsere ganze Familie linientreu ist.«
»Nein, passt schon«, sagte Tschukal, legte ein paar Münzen auf die Schank und wuchtete sich in seinen schwarzen, beinahe knöchellangen Ledermantel. »Ich glaub dir eh. Pfiat Gott. Heil Hitler!«
»Pfiat Gott!«, sagte Lois.
Tschukal drehte noch eine Inspektionsrunde im Ort. »Pflicht ist Pflicht«, sagte er sich. Danach legte sich der Ortsgruppenleiter mit einem Feldstecher vor dem Holzhäuschen von Lois auf die Lauer, »rein dienstlich, für Führer, Volk und Vaterland«, wie er sich leise murmelnd selbst bestätigte.
Tschukal hatte sozusagen das Glück des Tüchtigen. Denn kurz darauf kam Lois vom Wirtshaus heim. Tschukal sah ihn, wie er die Stube betrat und – die rechte Hand zum Hitlergruß hob. Er sah, wie rund um Lois seine Frau Frida und seine Kinder zu Lois traten und ebenfalls die Hand zum Hitlergruß in die Höhe rissen. Lois blieb dabei stramm stehen, den rechten Arm vorbildhaft durchgestreckt.
»Nicht schlecht«, dachte sich Tschukal, verpackte seinen Feldstecher ordentlich in die Schutztasche, wie es sich gehörte, und machte sich wieder auf, Richtung Wirtshaus.
Wenn Tschukal die Kunst des Lippenlesens beherrscht hätte, wäre ihm nicht verborgen geblieben, dass Lois seine Familie mit den Worten »Heil dem Idioten Tschukal« begrüßt hatte. Frida hatte mit »Heil nur dem Heiland« reagiert, worauf Lois in Richtung seines Sohnes Heinzi, freilich nach wie vor mit gestrecktem Arm, »Es lebe Österreich!« gerufen hatte, und der ebenso energisch mit »Ja! Es lebe Österreich!« geantwortet hatte. Darauf folgte von Maria ein herzhaftes »Scheiß auf die Nazis« und von ihrer Mutter ein inbrünstiges »Verflucht sei das Arschloch Hitler!«
* * *
Zitiert aus dem Heft »Ortsgeschichte von Amaliendorf«*: »Der ›Umbruch‹, d.h. der politische Wandel, ging 1938 in unserem Heimatort ohne jedes Aufsehen und vollkommen ruhig vor sich. Der 13. März 1938 war schulfrei. Viele Lastautos mit Soldaten fuhren durch Amaliendorf, und die Kinder standen am Straßenrand und probierten den ›Deutschen Gruß‹. Die wirtschaftliche Situation besserte sich schlagartig, denn es gab wieder Arbeit in den Steinbrüchen und in den Fabriken in Amaliendorf, Heidenreichstein und Schrems. Bürgermeister wurde der Gastwirt Josef A. und Oberlehrer Adolf K. wurde Ortsgruppenleiter der NSDAP.«
* * *
Wir hatten schreckliche Angst damals. Aber nicht nur wir Jenischen hatten Angst, mein kleiner Fuchs. Nicht nur die Juden, die Roma, die Sinti und die Regimegegner hatten Angst. Bis auf die Nazis hatten alle Angst. Denn ein falsches Wort genügte und du wurdest denunziert, verprügelt und verhaftet. Das halbe Land hatte Angst.
Angst ist gefährlich. Weißt du warum, mein kleiner, schlauer Fuchs? Angst macht gefügig, feige und blind.
Und Angst beanstandet nichts, obwohl gerade sie Berechtigung dazu hätte. Ich wünsche dir so sehr, mein kleiner Fuchs, dass deine Generation niemals solche Angst durchleben muss wie wir damals. Ja, es war die eisig kalte Zeit der Angst und der Angstmacher. Und freilich war es auch die Zeit, in der man rascher als sonst erkannte, was hinter den Fassaden der Menschen steckt.
Die Bevölkerung war dreigeteilt damals. Es gab die einen, die schon immer einmal wichtig und laut sein wollten und die nun wichtig taten und laut waren. Es gab die anderen, die auch noch Herz und
Weitere Kostenlose Bücher