Fuchserde
über seine Geheimnisse, nichts über seine Geschichte. Aber du hast sofort gefühlt, dass das kein gewöhnliches Versteck war. Du bist näher gegangen mit leicht erhobenen Armen, weil du die Kraft gespürt hast, die von diesem Platz ausgeht. Du hast Stein um Stein umkreist, ganz behutsam hast du das gemacht. Und dann bist du auf den Restling zugegangen, hast deine Hände auf ihn gelegt und deine Stirn. Du hast ihn betastet, hast ihn gerochen und ihn aufgenommen. Es brauchte kein einziges Wort von mir. Du hattest alles verstanden.
Erst danach erzählte ich dir von der Magie dieses Platzes. Erst danach erfuhrst du, dass sich hier schon seit ewigen Zeiten Jenische niedergelassen oder versteckt hatten. Ich erzählte dir, dass es ein seit Hunderten von Jahren geschätzter Funkplatz war. Hier hatten Alte ihre letzte Nacht verbracht, bevor sie in die Anderswelt übergingen. Hier waren aber auch Kinder geboren worden. Es war der Platz, und ist es auch heute noch, an dem innegehalten wird, geträumt und geweissagt; der Platz, an dem die wichtigsten Geheimnisse von der ältesten an die jüngste Generation weitergegeben werden; der Platz, an dem gebetet und geopfert wird. Es war und es ist ein heiliger Platz von uns Jenischen.
Nachdem Frida, die Kinder und ich durchgeatmet hatten, ließen wir uns Zeit. Nach und nach wich die angstnasse Aufregung aus uns, diese nervöse Unruhe, deren Existenz wir voreinander nicht zugegeben hatten, die aber Tag um Tag mehr Macht über uns erlangt hatte, und die da war und in uns wühlte, noch bevor die Nazis an unsere Tür geklopft hatten, um uns in eines ihrer Lager zu stecken. Jetzt war das quälende Warten endlich vorbei. Endlich hatten wir Gewissheit. Endlich wussten wir, dass wir auf ihrer Liste standen. Das war keine warme Sicherheit, aber es war eine Sicherheit. Sie brachte uns die Ruhe zurück.
Wir begannen, unser neues Zuhause einzurichten.
Den Spalt an den Rändern, zwischen dem Restling und dem Boden, haben wir mit Fichtenästen wind- und schneedicht gemacht. In der Mitte, dort, wo der Spalt zum Hindurchschlüpfen in die Grube am breitesten war, flochten wir aus Ästen eine Eingangstür, die einfach zu- und aufklappbar war. An einem Ende der Höhle legten wir uns ein kleines Holzlager an. Dürre Bäume und heruntergefallene Äste fanden sich in unmittelbarer Nähe mehr als genug, denn der Wald war hier besonders dicht gewachsen, ungepflegt und voller Geäst. In der anderen Ecke der Restlinggrube richteten wir unser Proviantlager ein. Hauptsächlich bestand es aus Erdäpfeln und Eingemachtem. Etwa in der Mitte war der Funkplatz, das war schon seit ewigen Zeiten so gewesen, so lange, wie die Erinnerung deiner Ahnen zurückreicht. Rund um die Feuerstelle bauten wir unsere Betten: Kniehoch stapelten wir Fichtenzweige übereinander, zu unterst die größten und dicksten Zweige, und dann nach oben hin immer feingliedrigere. Für die oberste Schicht verwendeten wir nur die weichen Enden der Zweige. Darüber kam dann als Leintuch eine einfache Decke. Fertig waren unsere federweichen Himmelbetten.
Das Feuer hielten wir tagsüber auf kleiner Flamme. Schließlich sollte der aufsteigende Rauch nicht unser Versteck verraten. Nur bei Nebel und in der Nacht legten wir ordentlich Holz in die Glut. Oder wenn der Wind stark genug blies und vom Rauch am Himmel nicht mehr übrig blieb als diffus verwehte Zeichen unserer Lebenskraft. Niemand hätte sie als solche zu deuten vermocht. Wenn unser Feuer wild prasselte, züngelte es bis an unser steinernes Dach, und der Rauch glitt am Restling entlang nach draußen, als hätten wir einen richtigen Kamin.
Wenn Frida uns eine Freude bereiten wollte, opferte sie ein wenig von dem mitgebrachten Mehl, nahm eines der kostbaren Eier und etwas Salz, vermengte alles mit Wasser und klatschte den gekneteten Fladen mit einer raschen Handbewegung gegen den heißen Stein über dem Funk. Beim Beobachten des am Restling pickenden Teigs trauten wir uns kaum zu atmen. Wie gebannt starrten wir, im Kreis sitzend, auf den Fladen und warteten darauf, dass ihn das Feuer vom Stein löst. Am gelassensten war deine Urgroßmutter. Frida machte uns glauben, es sei die normalste Sache der Welt, in einer Steinhöhle zu hocken und kopfüber am Felsen Brot zu backen. Sie tat so, als ob sie nicht einmal hinsehen würde. Erst nach einer Weile setzte sie sich dichter ans Feuer, aufrecht und konzentriert. Es dauerte nicht lange und der Fladen fiel vom Stein – in Fridas Hände, die
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