Fuchserde
Oberarm geschlagen und bin zurück zu den Meinen.
Meine Spuren hab ich diesmal nicht mit Zweigen verwischt. Gerhard hat mir gesagt, dass sie kein einziges Mal nach uns gesucht haben, weil die Nazis gedacht haben, dass wir bei der Kälte im Wald ohnehin krepieren.
Später bin ich dann immer wieder ins Dorf geschlichen, um Nahrungsmittel zu besorgen. Ich bin wieder in den Erdäpfelschuppen von Gerhard gegangen. Die Erdäpfel hatten merkwürdigen Nachwuchs bekommen, mein kleiner Fuchs. Einmal lagen zwei Wecken Brot und Äpfel im Schuppen, ein anderes Mal fand ich Karotten und Kohl, Eier und Mehl.
Monat um Monat verging und wir dachten schon, dieser Winter würde nie zu Ende gehen. Doch irgendwann war es dann so weit. Irgendwann wachten wir in unserer Höhle auf, steckten die Köpfe nach draußen und patziger, nasser Schnee fiel von den Bäumen. Ein bedeutender Tag war gekommen: Die Sonne war stärker als der Schnee.
»Peter kann uns hier nicht finden«, sagte Maria. »Er wird ins Dorf gehen. Dort wird man ihm sagen, dass wir geflüchtet sind und längst tot. Und wenn er lange nach uns fragt, wird er vielleicht selbst verhaftet. Ich werde deshalb«, sagte Maria mit ernstem Gesicht und sah mich mit einem Ausdruck an, der jeden Widerspruch von vornherein im Keim erstickte, »ich werde mich deshalb ab heute jeden Tag in der Nähe der Straße verstecken, die vom Süden her ins Dorf führt und auf ihn warten.«
Alles, was ich Vernünftiges dagegen eingewandt hätte, wäre von ihrer Liebe zu Peter zerschmettert worden. Zum Beispiel, dass es viel zu gefährlich sei; dass es Wochen dauern konnte, bis Peter kommen würde, wenn er es überhaupt schafft; dass er auch in der Nacht kommen konnte, wenn Maria nicht mehr neben der Straße auf ihn wartete, oder dass er von der anderen Straße kommen könnte, jener, die vom Westen ins Dorf führt; dass der Weg bis zur Straße außerdem viel zu weit und riskant sei, um ihn täglich zu gehen und, und, und. Ich sah meine Tochter an und sie las all meine Angst und all meine Warnungen in meinen Augen. Dann sagte sie: »Ich gehe jetzt.«
»Das wirst du nicht«, sagte plötzlich und mit ruhiger Stimme Heinzi. »Ich habe eine bessere Idee.«
Noch in derselben Nacht machten sich Heinzi und ich auf den Weg. Es dauerte ewig, bis wir endlich an der Straße waren, die vom Süden her ins Dorf führte. Im Wald war der Boden zwar noch gefroren, aber die Erde ließ sich zumindest mit Mühe lockern. Wir formten unser erstes Zeichen, unseren ersten Wegweiser für Peter: vier Erdhaufen an der rechten Straßenseite.
Es dämmerte bereits, als wir ziemlich erschöpft und ungezählte Erdhaufen später zu unserer Restlinggrube zurückkehrten. Maria kam uns mit erwartungsvollem Blick entgegen.
»Erledigt«, sagte Heinzi.
In der Nacht darauf brachten wir den zweiten Teil unserer Arbeit hinter uns: Wir gingen wieder Haufen machen. Diesmal von jener Straße ausgehend, die vom Westen ins Dorf führte.
»Aber wie soll er die letzten zweihundert Meter zu uns finden«, machte sich Maria Sorgen. Denn zur Restlinggrube führte nicht einmal ein schmaler Pfad, auf den man mit einem Zeichen hätte hinweisen können.
Ich erzählte Maria, dass Heinzi und ich knapp vor dem Dickicht einen Weidenstecken in einen Erdhaufen gesteckt hätten. In die Rinde des Steckens hatte Heinzi einen Vogel geschnitzt, als Zeichen, dass Peter nur noch pfeifen müsste, um von uns abgeholt zu werden.
»Er kann doch hoffentlich pfeifen«, sagte Heinzi und grinste seine Schwester an.
Maria lächelte. »Danke«, sagte sie und atmete durch.
12.
Peter wusste, dass das richtige Maß an Provokation über Leben oder Tod entscheiden würde. Wenn er die Wachen oder gar den Zivilisten zu sehr in Rage brächte, würden sie ihn womöglich wieder draußen im Schnee mit eiskaltem Wasser abspritzen und ihn nackt in den Betonbunker sperren. Ein zweites Mal würde er das nicht überleben. Peter wollte die Wachen gerade so weit treiben, dass sie ihn zur Strafe entlang des Lagerzaunes Runden laufen lassen würden. Also nahm Peter das blecherne Frühstücksgeschirr, schmiss es mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf den Boden und plärrte dem seitlich neben ihm stehenden kleinen SS-Mann mit dem Hitlerbärtchen »Den Dreck kannst du selber fressen!« ins Gesicht.
Der Wachmann schien gelangweilt. Er gab Peter einen Tritt ans Schienbein, dann eine Ohrfeige. »Heb das Geschirr sofort auf und iss zusammen, sonst vergesse ich mich«, sagte er
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