Fuchserde
trocken.
»Ich denk nicht dran«, entgegnete Peter und hatte Angst vor dem, was er gleich sagen würde: »Den Scheiß könnt ihr Nazischweine selber fressen!«
»Sag einmal, bist du jetzt völlig wahnsinnig geworden!«, schrie der SS-Wachmann Peter an. »Kriegt ihr Zigeuner nie genug? Reicht es dir nicht, dass deine ganze Familie schon den Löffel abgegeben hat? Ich glaube, du brauchst ein bisschen frische Luft!«
»Genau«, mischte sich ein zweiter, massiger SS-Mann ein. »Treiben wir ihn draußen ein paar Mal im Kreis, dann wird er sich schon beruhigen!«
Sie stießen Peter ins Freie. Seine Füße platschten in knöchelhohen Schneematsch. Die letzten beiden Tage war der Föhn durchs Tal gefegt. Dort, wo der Boden nur dünn mit Schnee bedeckt gewesen war, hatte er eine kalte, nass-gatschige Suppe hinterlassen.
»Hühott«, schrie der Wachmann, seine feisten Backen verließ ein kurzer Pfiff und dann schnalzte er Peter mit der Peitsche auf den Rücken wie ein Kutscher einem störrischen Gaul. Peter lief los. Er kannte das Spiel. Der Zivilist hatte es erfunden. »Rundenlaufen« hieß es. Gefangene mussten entlang des Lagerzauns auf dem etwa drei Meter breiten Grasstreifen um alle achtzehn Baracken laufen. Angetrieben wurden sie dabei wahlweise von Peitschenschlägen, Fußtritten oder nach ihnen geschossenen Steinen. Am Schlimmsten aber war es, wenn die Wachen ihre scharfen Schäferhunde auf einen Gefangenen hetzten.
»Ich glaube, der stinkende Zigeuner hätte gern Gesellschaft von Hasso und Rolf«, sagte der SS-Mann mit dem Schnurrbärtchen.
»Ja, scheint so«, antwortete der andere und sprach so laut, dass Peter es hören musste: »Wie langsam der dahinbummelt, braucht er bei der nächsten Runde wohl unsere spezielle Hundeeskorte!«
Trotz der Warnung erhöhte Peter sein Tempo keine Spur. Langsam trottete er um die Ecke der äußersten Baracke.
»Ich glaube, der will uns echt verarschen, wie langsam der rennt«, murmelte der Dicke dem kleinen mit dem Bärtchen zu.
Die SS-Wachen ahnten nicht, dass Peter beschleunigt hatte, sobald er um die Ecke gebogen war. Sie ahnten nicht, dass Häftling Nummer 4189 die Rundenlauf-Strafe provoziert hatte, weil er sich so die besten Chancen ausgerechnet hatte, beim Türmen nicht abgeknallt zu werden, wie all die anderen Gefangenen, die versucht hatten, während des Arbeitseinsatzes zu fliehen. All das ahnten die SS-Männer nicht. Und sie dachten auch nicht im Entferntesten daran, dass sie selbst es gewesen waren, die mit dem Peitschenschlag auf den Rücken des Häftlings Nummer 4189 dessen Fluchtversuch gestartet hatten.
Flink und leise hatte sich Peter im Sichtschutz der Baracke bereits am Holzbalkenzaun in die Höhe gezogen, hatte seinen rechten Fuß nach oben geschwungen und sich dann mit der linken Hand an einer der Eisenlatten festgehalten, an denen der Stacheldrahtzaun im Abstand von fünf Metern befestigt war. Mit der rechten Hand hatte Peter dann den obersten der fünf Stacheldrähte gefasst, und zwar so, dass er die Eisenstacheln zwischen seine Finger gleiten ließ. Jede Bewegung, jeden Handgriff tat er so, wie er ihn die Nacht zuvor Hunderte Male geübt hatte, in Gedanken geübt hatte.
Bei diesen Übungen scheiterte er einige Male schon beim Nach-oben-Ziehen auf den Holzbalkenzaun, am öftesten aber verfing er sich danach im Stacheldraht. Peter hatte sich den Zaun die Tage davor genau angesehen, hatte ihn eingehend studiert. In der Nacht sah er ihn dann vor sich, als stünde er direkt davor. Mit geschlossenen Augen simulierte Peter die nächste Phase seines Ausbruchs. Er streckte seine Arme im Stockdunklen der Schlafbaracke, schwang sein Bein zur Seite und drehte und wendete sich auf seinem Strohsack. Jetzt musste er sich mit beiden Beinen auf den obersten Stacheldraht schwingen, ihn nur ganz kurz berühren und sich sofort mit der linken Hand von der Eisenlatte abstoßen, ja, und gleichzeitig mit den Füßen vom Stacheldraht. Diese rasche, runde Bewegung, sagte sich Peter, würde die schwierigste und gefährlichste werden. Wenn er nur eine Kleinigkeit falsch machte, nur einen Griff nicht exakt genug, würde er rücklings nach unten fallen oder mit Hose oder Jacke zwischen die stacheligen Drähte geraten. Und auch danach, auch wenn der Zaun überwunden war, dann, während des Sprungs nach unten auf die andere Seite, auf die Seite der Freiheit, durfte er nicht die Konzentration verlieren, hämmerte er sich ein. Er musste die Wucht des Aufkommens am Boden mit
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