Fuchserde
stark bist oder schwach – und sie verhalten sich danach. Darauf ist stets Verlass.«
Peter beobachtete die Hunde, wie sie immer näher kamen. Er hatte seine Beine leicht gegrätscht, seine Arme seitlich bis zur Höhe der Brust erhoben und die Handflächen nach vorne gewandt. Mit der Rechten machte er das Zeichen der Sonne, denn die Angst sollte nicht Besitz von ihm ergreifen und der Geruch der Angst nicht in die Nüstern der Hunde ziehen. Peters Atem ging ruhig und langsam. Seine Augen waren fest und ohne Aggression, sein Mund geschlossen. Sein Blick ging von einem Hund zum anderen. Sie rannten wie wild auf ihn zu. Waren nur noch zwölf Schritte entfernt. Sprangen kläffend näher. Flogen auf Peter zu. Und bremsten sich zwei Meter vor ihm ein. Sie knurrten und fletschten die Zähne. Ihr Zahnfleisch schimmerte rot. Sie hatten Schaum im Maul. Peter hielt seinen Blick geradeaus gerichtet. Er atmete ruhig. Und sein Körper verströmte keine Angst. Als er langsam seine Arme senkte, wurden die Schäferhunde ruhig.
»Platz«, sagte Peter dann, und die Hunde legten sich vor ihm auf den Boden.
»Platz«, wiederholte Peter, und sah den Hunden noch einmal tief in die Augen. Dann drehte er sich um und ging Etwa sechshundert Schritte später hörte Peter zwei Schüsse. Der Zivilist oder die Lagerwachen mussten bei den beiden Hunden angelangt sein. Der Abstand schien Peter vorerst groß genug.
Peter änderte die Richtung und ging nun gegen Nordosten. Nach etwa einem Kilometer zügigem Fußmarsch begann sich seine Anspannung zu lösen und auch die zurückgehaltene Angst wich aus ihm. Mit jedem Schritt wurde ihm deshalb kälter und der Schmerz der beiden Schusswunden machte ihm mehr und mehr Sorge. Peter blieb stehen und zog seine Jacke und sein Hemd aus. Die Wunde an seinem linken Oberarm war zwar nicht tief, aber die Kugel hatte ihm drei Finger breit Haut und Gewebe weggerissen. Aus dem offenen Fleisch sickerte Blut. Peter riss den blutdurchtränkten linken Ärmel seines Hemdes ab, knotete ihn in der Mitte einmal zusammen, und schnürte ihn dann, den Knoten auf die offene Wunde gepresst, mit den Zähnen und seiner rechten Hand um den verletzten Arm.
Dann zog er seine Hose aus. Am rechten Bein war sie tiefrot gefärbt. Wegen des vielen Bluts hatte er Mühe, die Schusswunde zu lokalisieren. Peter wischte mit dem Finger über die aufgeplatzte Haut. Die Patrone war in der Mitte seines rechten Oberschenkels von hinten tief ins Fleisch eingedrungen. Mit jeder Bewegung sickerte ein kleines Bächlein Blut aus der Wunde. Peter riss nun auch den rechten Ärmel seines Hemdes ab. Er machte wieder einen Knoten und band sich den Ärmel so fest er konnte ums Bein. Dann zog er wieder Hemd, Hose und Jacke an und marschierte weiter. Von den Lagerwachen war nichts zu hören.
Peter wusste, dass er in diesem Zustand nicht allzu weit kommen würde. Die Wunden mussten rasch geschlossen werden, sonst würde er bald auskühlen und entkräftet zusammenbrechen. Ab sofort hielt Peter deshalb Ausschau nach Fuchserde.
Um sich von seinem Schmerz abzulenken und seinem Körper zumindest etwas Kraft zurückzugeben, griff Peter nach allem Nahrhaftem, was ihm auf seinem Weg unterkam. Er aß die aus dem Schnee hervorlugenden Halme des Hundszahngrases, trank aus Bächen, griff nach dem blutstillenden Ruprechtskraut, kratzte die Blätter der Lungenflechte von Baumstämmen und kaute die Wurzeln des Engelsüß. Was er aber nicht fand, war die ersehnte Fuchserde.
Die Sonne hatte längst ihren Zenit überschritten und Peter war auf allerlei Spuren gestoßen: Er hatte den Weg eines Hirschenrudels gekreuzt, war auf die Fährte von Hasen, Mardern und Wildkatzen gestoßen und bemerkte auch reichlich viele Abdrücke von Rehen. Sogar die Pfoten eines Fuchses waren dabei gewesen. Aber die Spur, nach der er Aussicht hielt, die Spur, die ihn zur Fuchserde führen sollte, die war nicht dabei.
Peter fror so sehr, dass er glaubte, seine Knochen müssten zerspringen. Es fiel ihm auf, dass er immer öfter stolperte. Einige Male fiel er zu Boden, und dann ertappte er sich bei dem Wunsch, nicht mehr aufstehen zu müssen. Er hatte kaum noch Kraft und schließlich überkam ihn uferlose Traurigkeit, denn die Sonne hatte ihn verlassen und war hinter die Bergkuppe gerutscht. Peter ging nicht mehr. Er stakste nur noch ungelenk durch den verschneiten Wald. Bald hatte er keine Gedanken mehr. Dass er dennoch die Richtung hielt, lag an seinem Instinkt. Er sah nicht mehr nach
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