Fuchsteufelswild
Marlies sollte er die Realität erklären. Ich hab geklingelt. Er hat die Tür aufgemacht. Er sah schrecklich aus. Er war zusammengeschlagen worden. Ich wollte ihm helfen. Aber er wollte sich nicht helfen lassen. »Du!« â hat er nur gesagt. Wie wenn er auf mich gespuckt hätte. Und dass ich aus seinem Leben endlich verschwinden soll. Können Sie sich das vorstellen, nach allem, was zwischen uns war? Warum war er so? Er war verrückt geworden. Wir haben uns geliebt. Wir waren eins. Für immer. Er durfte nicht so mit mir umgehen. Er durfte das nicht! Niemand darf das!«
»Sie sind fast jeden Tag in der SedanstraÃe herumgegeistert, oder? â Vor seinem Haus. Und dass die Frau Hopf jetzt einziehen wollt beim Toni, haben nur Sie gewusst. Und das war zu viel, oder?«
Der Yves hatte sie eindeutig beschrieben.
Die Frau geht nicht auf die Bemerkung ein.
»Ich hab ihn gefragt, was diese Schlampe von ihm will. Die Marlies ist doch nur ein ahnungsloses, dummes kleines Miststück. Er ist zu gut für die, das hat sie nicht verstanden. Zu dumm.«
Sie lacht noch einmal auf. Verzweifelt hört es sich an.
»Hau endlich ab und lass mich in Ruhe â hat er gesagt und mich einfach an der Tür stehen lassen. Das durfte er nicht. Dazu hatte er kein Recht. Mich so zu behandeln, ist ...«
»Schmarrn â Sie haben sich doch nicht geliebt. Er hat Sie nie geliebt. Sie haben dem Toni nachgestellt, ihn verfolgt mit Ihrer ...« Die Wiesner spürt die Schwertschneide an ihrer Kehle. Kurzer Druck lässt sie röcheln.
Man soll schweigen oder Dinge sagen, die noch besser sind als das Schweigen, hat der Pythagoras gemeint. Bis ihr derartige Dinge einfallen wollen, hält sie besser den Mund. Gesünder ist das allerweil.
»Du hast keine Ahnung«, bekommt sie wieder einmal beschieden. »Du bist auch nur ein immergeiles Luder, das es mit jedem treiben will. Du bist scharf auf Männer anderer Frauen, das seh ich dir an.«
Mit scharfer Klinge am Hals widersprichst du nicht. Nicken lässt du besser sein. Irgendwas von narzisstischer Kränkung schieÃt der Wiesner in den Kopf. Immerhin kann noch etwas in den Kopf schieÃen. Bloà wie lange noch? Psychologisch interessant. Letztes Jahr hat sie an einem Fachtag über »Stalking« teilgenommen. Am siebten November. Woran das Hirn sich klammert â erstaunlich. Powerpoint-Präsentation und schön designte Handouts. Jetzt hätte sie gern gehabt, dass der geschniegelte Referent an ihrer Stelle säÃe, samt japanischem Mordwerkzeug am Kehlkopf. Da hätte er eine Gaudi. Real Action on Stage. Sie muss das Zittern unterdrücken, das ihren Körper urplötzlich überfällt. Als wärâs ein Fieberdelirium. Reden. Du musst sie reden lassen. Die Frau erfüllt ihr stilles Flehen. Aufgeräumt klingt ihre Stimme. Die Wiesner weià nicht, ob dieser Ausbruch an Euphorie ein schlechtes Vorzeichen ist.
»Da hab ich ihn getötet. Das war nicht schwer. Nur ein Griff. Er sollte nicht zu sehr leiden. Es musste sein. Er durfte nicht so mit mir umgehen.« Als wenn sie erfolgreich einen sandigen Kopfsalat geputzt hätte, kommentiert sie das.
Die Wiesner ächzt auf. Das Geständnis hilft grad nicht weiter. Triumph fühlt sich anders an. Auch wenn sie ihr Gefühl letztendlich nicht im Stich gelassen hat. Darauf kann sie scheiÃen. Besser kein Gefühl, aber überleben. Nur wie? Ãberwältigen kann sie die Frau nicht. Keine reelle Chance. Nicht in dieser Lage. Achtzehn Jahre Training. Das hat sich ja mal wirklich gelohnt. Das Miststück hat die Oberhand. Das weià sie auch. Ãberlegenheit strahlt sie aus, bis zum Wahn. Das Umbringen sieht sie als ihr Recht an. Ja, sie hat nichts mehr zu verlieren, sie würde töten. Alles um sie herum auslöschen. Sie kann niemanden sehen. Sie kreist nur um ihren eigenen Planeten. Der ist blutigrot und kurz vor der Explosion. Jede Hemmung hat sie verloren. Da ist keine Grenze mehr.
Die Wiesner darf nicht in Panik verfallen. Gerade fühlt es sich aber sehr nach Panik an. StoÃweise kommt ihr Atem. Jetzt könnte sie wohl ein Mantra gebrauchen. Eine neue Grundschwingung wäre nicht verkehrt.
Alles wird gut. Alles wird gut. Alles wird gut.
Tatsächlich lüftet sich der wabernde Nebel vor den Gedanken. Alles wird gut. Na wirdâs bald, Sandra!
»Und was machma jetzt?«, fragt sie.
Die
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