Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
so weit, Wiebke und Levke-Fee holen Mama, Teddy und mich ab, und wir fahren los.
Prag liegt in einem Kölner Hinterhof. Europa ist klein, denke ich und schaue in das Stück Himmel, das die Häuserfrontenfrei lassen. Gott grinst von oben und pupst offensichtlich folgenschwer, denn ein Gewitter bricht sich Bahn.
Wir gehen ins Gebäudeinnere, als hinter uns eine bekannte Stimme ertönt: Betty-Bettina quetscht sich mit Sören-Wotan aufgeregt durch die ökologisch-selbstgetöpferte PEKiP-Schleuse, the thing formerly known as ›Tür‹. Teddy schüttelt den Kopf über so viel ungestrafte Kreativität, aber Sören-Wotan grinst mich an, und ich werde rot wie ein Krebs mit Sonnenbrand.
»Das giiiibt’s ja nicht, ihr auch hier, wie schöööön«, kreischt Bettina, »mein Sören-Wotan braucht ja eigentlich keine Förderung, aber man kann hier sicher Gleichgesinnte kennenlernen, und euren Kindern tut das bestimmt gut hier!«
Mama und Wiebke lächeln gequält und setzen sich notgedrungen neben die beiden. Ich hingegen freue mich über die Anwesenheit meines Geliebten und will gerade mit ihm Details über unser erstes alleiniges Treffen aushandeln, da beginnt die Kursstunde, weshalb Mama mir ihren Finger auf den Mund legt und mir bedeutet, leise zu sein.
Die Kursleiterin heißt Aloe-Vera, spricht erstaunlich gut Deutsch und hat im Kursraum alle Heizkörper voll aufgedreht. Kriege das erst gar nicht mit, schwitze wie verrückt und denke, dass die Wechseljahre heute scheinbar immer früher kommen.
Auch Teddy scheint es nicht gut zu gehen, denn er flüstert mir zu: »Bei Annie und Heike musste ich so was nicht mitmachen. Abartig. Es ist ja heiß hier drin wie in einer finnischen Sauna mit kaputtem Temperaturregler, das halte ich nicht lange aus.«
»So ist das eben im Ausland«, sage ich, »wenn manwas von der Welt sehen will, muss man Kompromisse machen.«
»Scheiß Klimawandel«, flucht er und schüttelt sich die Schweißtropfen aus dem Fell.
Sieben Babys und ich werden nackig gemacht. Ich passe mich den Gegebenheiten an und mache sofort einen Aufguss.
Mama macht mit und wedelt mit dem Handtuch um mich rum.
Levke-Fee will scheinbar meine Freundin werden und puschert auf das Laminat und die ausgelegten Kirschkernkissen.
Hier lernt man wirklich ›Loslassen‹.
Mama und Wiebke gucken zerknirscht, und wir erwarten Bestrafung, irgend so was wie Nach-Liegen oder eine Strafarbeit an der Motorik-Schleife, aber Aloe-Vera bringt ihre Gliedmaßen in Feng-Shui-Stellung und lächelt gütiger als Maria Schell nach zwanzig Eierlikör. Fröhlich nimmt sie einen bei Vollmond gebatikten Baumwolllappen, auf dem gestickte Yin und Yangs auf Friedenstauben durch Tschechien flattern und wischt Levke-Fees Ursuppe auf, als wäre es der letzte Fußschweiß von Maria Montessori oder die Salbengrundlage eines neuen Weleda-Produkts.
Sören-Wotan grinst und flüstert: »Babypipi freut den Hippie.«
Wir lachen, staunen und stellen fest, dass man in Osteuropa scheinbar noch was fürs Geld kriegt.
So viel Hingabe beeindruckt uns, und wir pieseln nun alle.
Aloe-Vera verliert kurz die Contenance.
»Sie ist sicher noch in der Ausbildung«, sage ich zu Sören-Wotan, »das wird schon, es gibt schlechtere Berufe.«
Er pflichtet mir bei und erwidert: »Fischfabrik zum Beispiel.«
»Oder Hebamme«, ergänze ich, und wir kichern einvernehmlich.
Und tatsächlich, Aloe-Vera ist nun wieder ganz bei sich und nach wie vor von ihrer Pädagogik überzeugt, denn sie fängt jetzt an zu singen, ganz lieb und ganz hoch, und das klingt wie eine Mischung aus Miss Piggy, einer schlecht entlüfteten Heizung und Til Schweiger, der eine Tonne Helium inhaliert hat.
»Man könnte genauso gut am Rand eines Glases mit sehr sehr wenig Wasser reiben«, flüstert Teddy schwitzend und versucht verzweifelt, sich das Fell über die Ohren zu ziehen.
Die sieben Mütter passen sich gesanglich an, und auch Wiebke schraubt sich immer höher.
»Fürchterlich, ehrlich, dagegen war Heintje Punkrocker«, ruft Teddy mir zu, während er zwei Marder zu engagieren versucht, um die Stromkabel durchzubeißen.
Alle singen hoch, nur meine Mutter brummt wie eine dicke Fliege, die unter der Heizung auf dem Rücken liegt. Sie blinzelt mir zu und lacht, woraufhin ich denke: Eltern kann man sich nicht aussuchen. Trotzdem bin ich stolz, dass sie nicht mitmacht.
Sie singen das Lied aller Kinderlieder: »Hoch am Himmel, tief auf der Erde, überall ist Sonnenschein. Wenn ich nicht der Sören
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