Fuck the Möhrchen: Ein Baby packt aus Roman (German Edition)
wird die Kunstwelt vor mir erzittern und Mama stolz auf mich sein.
20. »Mama« und »Papa«
Mama sagt den ganzen Tag: »Sag mal MA-MA, ich bin die MA-MA! MA-MA!«
Dabei presst sie beim M die Lippen aufeinander, als hätte sie einen Sekundenkleber geküsst. Als sei das nicht schon genug der unnötigen Zurschaustellung, sieht ihre darauffolgende ausufernde Mundbewegung aus wie eine Kröte auf Repeat.
Ich reagiere nicht, da ich mit Zehenlutschen beschäftigt bin.
»MA-MA, sag doch mal MA-MA«, fordert sie mich eindringlich auf, und ich komme mir vor wie ein Versuchskaninchen bei seiner ersten Hypnosestunde.
Papa kommt nach Hause und gibt Mama einen Kuss auf die Wange.
»Mia kann immer noch nicht ›Mama‹ sagen«, berichtet Mama frustriert, und Papa antwortet: »Das braucht sie auch nicht, denn ›Papa‹ ist viel wichtiger.«
Mama guckt erstaunt und kommentiert: »Nee, is klar, du bist natürlich viiiiel wichtiger, und du bist ja auch viiiiiel häufiger da als ich.«
Papa lacht, wirbelt Mama in der Luft herum und schreit: »Ja, genau! Weil ich nämlich ab heute zwei Nachmittage in der Woche zu Hause bleibe!«
Jetzt ist Mama platt.
»Bist du arbeitslos, Chris? Sag, dass das nicht wahr ist!«
»Nein«, beeilt sich Papa zu sagen, und er platzt fast vor Aufregung, »ich habe mir zwei Nachmittage pro Woche freigeschaufelt und dir einen Atelierplatz in der Südstadt besorgt,so richtig mit viel Licht und Kaffeemaschine, da kannst du endlich malen, bis der Arzt kommt!«
Mama ist sprachlos.
Ich auch. Papa besorgt Mama ein Zimmer, in dem sie Dr. Liebermann empfangen kann. Warum? Als Ausgleich zu dem Treffen mit der Aloe-Vera-PEKiP-Bitch? Weiß er denn gar nicht, was da alles passieren kann?
Mama fragt ungläubig: »Chris, was ist passiert?«
»Nichts! Ich liebe dich, meine Honigbiene!«
»Honigbiene?« Mama muss lachen, wird aber gleich wieder ernst. »Habe ich das richtig verstanden, du lässt dein geliebtes Tonstudio zwei Mal wöchentlich allein, damit ich malen kann?«
»Ja-ha!«
Mir ist das plötzlich zu viel Aufmerksamkeit für Papa, und ich sage :»Mama.«
Unfassbares passiert, denn Mama ignoriert meine sprachliche Kompetenz und tanzt wie eine wildgewordene Killerwespe um Papa rum.
»Es geht wieder auf-wärts, ich ka-hann hier ra-haus!«
Was soll das denn heißen, frage ich mich, hier ist es doch schön, und ich kann beim Malen helfen.
Umgehend kippe ich das Aprikosenmusglas auf den Badmintonschläger und spritze eine Illustration zu Händels Feuerwerksmusik auf Mamas Crocs.
Mama ruft sofort: »Nicht doch, Mia«, und ich vermute, dass sie keine Freundin dieser Technik ist.
Ich sage abermals »Mama«, doch in diesem Moment klingelt es an der Tür, und mein schönes Wort geht im Gebell von Wiebkes Hund unter.
»Wiebke, stell dir vor, Chris hat mir einen Atelierplatz besorgt, ich kann wieder loslegen mit meiner Kunst, ist das nicht toll?«
Wiebke nickt, während Rudi mit nassen Pfoten über das ganze Parkett läuft.
Normalerweise wäre Mama jetzt ausgeflippt und hätte Wiebke den Wischmopp in die Hand gedrückt, aber sie ist wie ausgewechselt, guckt dem Hund nach, betrachtet den Boden und ruft: »Ich habe schon eine großartige Idee für ein Action-Painting mit Rote-Beete-Saft. Kann ich mir Rudi mal ausleihen, Wiebke?«
Wiebke nickt abermals, und Mama lacht und tanzt im Flur herum.
Jetzt auch noch der Hund.
Ich muss mich ranhalten, um Mama nicht zu verlieren und sage laut und deutlich: »Mama.«
Mama hält inne und informiert die anderen ungläubig: »Habt ihr das gehört? Sie hat Mama gesagt! Ma-ma! Sag’s nochmal, Schätzchen, wer bin ich?«
Ich sage: »Ma-ma.«
Das sitzt. Sie schmilzt förmlich dahin.
»Sie hat es wieder gesagt! Heute ist der glücklichste Tag in meinem Leben!« Mama hüpft auf und ab und strahlt wie die Sonne, bevor diese vor Capri im Meer versinkt, davon singt Opa jedenfalls immer.
Das ist ja einfach. Ich beschließe, von nun an täglich mindestens tausend Mal ›Mama‹ zu sagen, damit sie bei mir bleibt und nicht in dieses ›Atelier‹ abhaut.
Malen kann sie schließlich auch mit mir, dann sind wir außerdem schneller fertig.
~
Meine Eltern sind jetzt plötzlich häufig sehr vergnügt und trällern gemeinsam Kinderlieder. Heute singen sie schon den ganzen Tag ›Alle meine Entchen‹, und ich vermute, dassdie Kostümierung zu Karneval an meinen Eltern nicht unbeschadet vorübergegangen ist. Den ganzen Tag ›Alle meine Entchen ...‹, ich muss zugeben, dass
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