Füge Dich! (German Edition)
Entfernung verstand sich. Er sollte die Blicke der Passanten auf seinem Körper spüren.
Strohblond. Das Haar zu einem Hahnenkamm frisiert, der sich über die Mitte seines Kopfes bis in den Nacken hinein erstreckte und mit viel Wachs fixiert worden war. «Ultra wax – 24h ultrastarker, dauerhafter Halt».
Er sah einfach nur lächerlich aus. Zuerst hatte Jens mit dem Gedanken gespielt, eine Perücke aufzusetzen, doch die konnte man ihm einfach abnehmen. So wie seine Kleidung. Waren die Haare erst einmal gefärbt, konnten sie nichts mehr ausrichten.
Blaue Kontaktlinsen über seinen braunen Augen sollten ihn noch weiter verfremden. Jens starrte sein Spiegelbild an. Wer würde ihn jetzt noch erkennen?
Es reicht noch nicht aus!
Wäre er blasser, könnte Selbstbräuner für die nötige Veränderung sorgen, doch dank regelmäßiger Besuche im Sonnenstudio ... Die Gesichtskonturen ... In Form geschnittene Schaumstoffstreifen mit Haftcreme an den Außenseiten seines Oberkiefers fixiert ließen sein Gesicht sogleich ein wenig fülliger erscheinen, doch würde das genügen?
Jens versuchte, sein gespiegeltes Gegenüber objektiv zu betrachten. Die Größe war identisch, daran ließ sich nichts ändern, vielleicht die Figur? Jens hatte seinen athletischen, schlanken Körper stets mit Stolz betrachtet. War er doch das Resultat konsequenter Disziplin. Seine Besuche im Fitnessstudio sowie das regelmäßige Lauftraining waren ihm heilig.
Vorgetäuschte Fettpölsterchen wären durchaus machbar, aber das würde man ihm sicher nicht durchgehen lassen. Er musste seine Kleidung eintauschen gegen ... Jens mochte sich gar nicht ausmalen, was man ihm stattdessen aushändigen würde.
Doch sah man von seiner Figur einmal ab, hatte sein Spiegelbild keinerlei Ähnlichkeit mehr mit ihm selbst.
Wie bewegte er sich eigentlich? Wiederholte Schritte vor dem Spiegel wurden mit Argusaugen überwacht und durch vielfältige Variationen ersetzt. Würde er es schaffen, seine Körperhaltung für die Dauer dieser beschämenden Aktion konstant zu verändern? Ein Blick auf die Uhr ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Es war so weit. Er konnte nur hoffen, dass seine Maskerade Erfolg hatte, sollte er tatsächlich einem Bekannten begegnen.
Er zog sich die eigens für diesen Auftritt angeschafften Billigturnschuh an. Treter, die der wahre Jens niemals auch nur in Erwägung gezogen hätte.
Ein doppelter Whisky noch, dann setzte er sich die Sonnenbrille auf die Nase und machte sich, einen Hut tief in die Stirn gezogen, schweren Herzens auf, die erste Aufgabe in Angriff zu nehmen.
Vor der Herrentoilette atmete Jens noch einmal tief durch. Sein Puls raste, als er die Klinke herunterdrückte und mit kantigen Schritten den Vorraum betrat.
Der Mann, der ihn mit eisiger Miene betrachtete, musste Alinas neuer Lover sein. Die tiefe Verachtung, die ihm entgegenschlug, verlangte vehement nach seiner Faust, doch Jens befand sich zurzeit nicht in der Position, auszuteilen. Wütend schluckte er seinen Zorn hinunter.
«Schlucken!»
Entsetzt starrte Jens auf die Pillen, die Ricky ihm entgegenstreckte.
«Was ist das?» Die Frage war rein rhetorischer Natur. Jens kannte diese Pillen durchaus, wenngleich er mit Genugtuung von sich behaupten konnte, dass er bisher noch nie hatte darauf zurückgreifen müssen. Die blaue Farbe hatte Signalcharakter.
«Mach den Mund auf!»
Ein zweiter Mann hatte den Raum betreten und drückte grob Jens’ Kiefer auseinander. Ricky legte ihm die Pillen auf die Zunge und hielt ihm sofort einen mit Wasser gefüllten Becher an die Lippen.
«Schluck!»
Björn hatte seinen Kiefer losgelassen und hielt ihm nun die Nase zu. Erst als der Becher komplett geleert war, ließen die beiden von ihm ab.
«Ausziehen!»
Jens spurte nun, auch wenn ihm die Überwindung, die es ihn kostete, deutlich anzusehen war.
Ricky reichte ihm die Kleidungsstücke, die er in der nächsten Stunde zu tragen hatte.
Die lilafarbene Jeans saß ausgesprochen eng. Straff spannte sie sich über seine schmalen Hüften. Nur mit Mühe gelang es ihm die Knöpfe in seinem Schritt zu schließen, nachdem bereits der erste davongesprungen war, kaum dass er ihn durch das vorgesehene Knopfloch gedrückt hatte.
Die Knöpfe sind nur mit einem einzigen, dünnen Faden angenäht. Dieses verdammte Luder!
Das knappe, pinkfarbene T-Shirt endete eine Handbreit über seinem Nabel. Jens blickte verzweifelt an sich hinunter, sie konnten ihn doch nicht ernsthaft in diesem Aufzug nach
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