Fuego, Andréa de
abwich und in einen schmalen Feldweg einbog, kam er an Zäunen vorbei, die nun diesen flüssigen Spiegel schützten. Die Grundstücksgrenzen waren verschwunden, ein Obelisk erhob sich aus dem Spiegel, das begierige Kirchendach wies nach Norden, ein Kompasspfeil. Alles hatte das Wasser verschlungen, und wenn es in seinem Bett verbliebe, würde die Erde eine Sache nach der anderen zermalmen. Auf seinem Weg begegnete er Nico, der den Kompasspfeil betrachtete.
»Wo ist der Rest?«
»Im Haus, wir hatten genügend Zeit.«
Die beiden standen sich gegenüber, Geraldo stieg vom Pferd und führte zum Schutz des Körpers den Hut zur Brust, es waren die Erinnerungen, seine Mutter, die ihr Grab verloren hatte. Die Trauer brachte die Fruchtblase eines anderen Entstehungsprozesses zum Platzen, die Zellwand einer Perle barst, wodurch die übrigen ebenfalls platzten, ganz gleich, wo sie waren, Geraldina verlor ihre Form. Geraldo sah sich als Kind in den Wald rennen und Vogelnester suchen, mit der Hand hineinfahren und die weiche Öffnung zerstören.
Die Partikel seiner Mutter verbanden sich mit der Formel des Wassers. Geraldina war ein Element des Staudamms, hatte jedoch, wie alle Substanzen, ihre besonderen Eigenschaften. Stiege das Wasser über den Rand der Serra Morena, wäre es lediglich das Wasser der Welt, und sie könnte sich wieder zusammenfügen. Im Staudamm war Geraldina ein Gift, das wegen seiner starken Verdünnung jedoch kaum Wirkung zeigen würde.
32. Kapitel
AUF DINORÁS RAT hin besorgte sich Júlia eine zweite Arbeit. Schmuckverkauf über Katalog, das Heftchen ließ sie in der Toilette, in der sie arbeitete, neben dem Klopapier liegen. Manche baten, es mit reinnehmen, es durchblättern zu dürfen, während sie sich in der Kabine aufhielten. Sie gaben es zurück, ohne etwas zu bestellen.
»Wie sollen die Leute was bestellen, wenn sie auf Reisen sind? Du musst es Menschen anbieten, die im Busbahnhof arbeiten, Júlia«, empfahl Dinorá.
Júlia befolgte ihren Rat und verkaufte fortan Deodorants an den Schaltern der Busgesellschaften. Über dreißig pro Monat. Dinorás Jungs fanden ein Zimmer für sie in einer Familienpension, Júlia zog mit einem Sack voll Kleider um. In der Pension gab es ein Bett, einen Schrank, einen Nachttisch und eine Kommode. Badezimmer im Flur und eine Gemeinschaftsküche, wo sie Anisbrot buk. Es parfümierte die Pension und besänftigte die Junggesellen aus gutem Hause, ihre Zimmernachbarn.
Júlia kam gerade vom Mittagessen, als die Frau in Violett die Toilette betrat, diesmal in Weiß. Mit einem anderen Kind auf dem Arm. Sie erkannte Júlia nicht, die außer der Schürzenuniform auch noch eine Schildmütze trug, die ihre Haare bedeckte. Sie blieb gut vierzig Minuten drin, kam ohne Baby wieder heraus. Vor dem Drehkreuz hatte sich eine Schlange gebildet, Júlia konnte nicht aufstehen und nachsehen. Als die Menge sich aufgelöst hatte, sah sie eine andere Frau mit dem Baby auf dem Arm herauskommen, es schrie wie ein Neugeborenes. Sie erzählte es Dinorá.
»Halt dich da raus, und falls sie noch mal auftaucht, versteck dein Gesicht in deiner Hand. Pass auf, dass sie dich nicht erkennt.«
Die Frau kam wieder, und diesmal ging sie nicht mal durchs Drehkreuz, sondern wandte sich direkt an Júlia.
»Wo ist das Baby, das ich dir überlassen habe?«
»Hier ist das Toilettenpapier.«
»Ich gebe dir einen Tag, um den Jungen zurückzubringen, auf Kindesraub steht Gefängnis.«
Es war keine Angst, sondern ein kalter Klotz, der Júlia traf. Eine Mutter wartet doch niemals so lange, bis sie ihr Kind sucht. Und wenn sie die Person wiederfindet, der sie ihr Kind überlassen hat, dann wartet sie auch nicht noch einen Tag ab. Das waren Dinorás Überlegungen im Zug.
»Wir steigen aus und gehen bei der Polizeiwache vorbei, sprich mit Seu Amadeu, beschreib ihm die Frau, und die Sache ist erledigt.«
Amadeu saß in der Polizeiwache, das Hemd offen, außer direkt über dem dicken Bauch, graue Brusthaare lugten hervor.
»Siehst du den jungen Mann dort im Flur? Das ist Tadeu, der wird der Sache nachgehen, er hat das Baby, das ihr gebracht habt, dem Jugendamt übergeben.«
»Haben Sie seine Mutter gefunden?«
»Ich weiß nicht mal, wo meine steckt, meine Dame.«
33. Kapitel
MARIAS BAUCH GLÄNZTE, so stark spannte er. Tizica kam nicht mehr in die Serra Morena, seit sie in die Stadt gezogen war. Das Alter ließ keine größeren Ortsveränderungen mehr zu, ihr Radius umfasste das Zentrum mit den
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