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Führe mich nicht in Versuchung

Führe mich nicht in Versuchung

Titel: Führe mich nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eve Byron
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er entschlossen, es nicht als Letzter zu erfahren.
    »Ripley«, rief er, während er die Treppe hinuntereilte und auf sein Ankleidezimmer zuging. »Schicken Sie mir meinen Kammerdiener und sorgen Sie dafür, dass die Kutsche in genau dreißig Minuten bereit steht.«
    In förmlichem Schwarz und Weiß gekleidet - eine Aufmachung, in der er ohne Zweifel selbst das Oberhaus einschüchtern würde - saß er einige Zeit später in seiner Kutsche am Fenster, das Kinn auf die Faust gestützt und grübelte darüber nach, warum Bruce ihm all die Jahre verschwiegen hatte, dass er sein Bruder war. Hatte es ihn amüsiert? War es eine Art Rache an den Hastings gewesen?
    Aber Max konnte sich nicht daran erinnern, dass Bruce bei all seinen Streichen jemals mit Absicht einen anderen Menschen verletzt hatte. Doch wenn ein Mitglied seiner Familie in Gefahr war oder bedroht wurde, konnte er sich als unerbittlicher Gegner erweisen.
    Seine Familie. Bruce hatte sich doch wohl nicht derart in die Vorstellung von Blutsbanden verrannt, dass er der Auffassung war, Max benötigt seine Hilfe!
    Max schnaubte verächtlich. Er konnte und wollte seine Angelegenheiten ohne die Hilfe anderer regeln.
    Entschlossen, Bruce ein für allemal den Kopf zurechtzurücken, stieg er aus, als die Kutsche vor Bruces Haus zum stehen kam und ihm der Diener die Tür aufhielt. Er eilte auf das Gebäude zu und betätigte den Türklopfer mit etwas mehr Kraft als notwendig.
    »Gelobt sei der Herr, Ihr seid gekommen, Hoheit«, sagte Smithy, als er ihm die Tür öffnete und traurig den Kopf schüttelte. »Es geht dem Ende zu.«
    Max gelang es gerade noch, seine Fassung zu bewahren. Einerseits war er versucht, dem Mann wegen seiner Schauspielkunst die Leviten zu lesen, andererseits hätte er am liebsten dem Lächeln nachgegeben, das seine Lippen umspielte.
    Smithy war brillant, wenn auch eine Spur zu melodramatisch. Max war versucht, das Stück bis zum Ende mitzuspielen, um zu sehen, was Bruce sich nun wieder hatte einfallen lassen. Aber eigentlich war er nicht in Stimmung, an einer Posse teilzuhaben - zumindest nicht, wenn Bruce die Fäden in der Hand hielt.
    »Gut«, erwiderte Max und zwang sich, seiner Stimme Schärfe zu verleihen. »Das erspart mir die Mühe, ihn mit einem Kissen zu ersticken.«
    Smithy zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe, als er Maxens harsche Antwort vernahm, fing sich aber schnell wieder und verlieh seinem Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck. »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, Hoheit. Ich werde Euch zu seinem Krankenbett führen.«
    Offenbar wollte Bruce Max nach oben locken. Aber das sollte ihm nicht gelingen-Die Farce hatte nun lange genug gedauert. »Richten Sie Lord Channing aus, dass ich im Salon auf ihn warte«, sagte er.
    Smithys Unterkiefer fiel herab. Er trat unruhig hin und her und blickte argwöhnisch die Treppe hinauf.
    »Gehen Sie schon«, drängte ihn Max und winkte ihn fort. »Ich finde mich allein zurecht.« Ohne sich umzusehen, ließ er Smithy am Fuße der Treppe zurück und schritt auf den Salon zu.
    Ein erschrecktes Keuchen erfüllte den Raum, als er die Tür öffnete und hineinschlenderte. Kathy saß regungslos in einem großen Polstersessel in der Ecke, die Hand auf ihr Herz gepresst und ihre blauen Augen aufgerissen.
    Max starrte sie an. Von diesem Mädchen, das er bisher nur zweimal in seinem Leben gesehen hatte, ohne sie richtig zu betrachten, ging eine unerklärliche Faszination aus.
    Er konnte den Blick nicht von ihrem Gesicht abwenden, das von den Wangenknochen über die Nase bis zum Kinn eine weibliche Version seines eigenen zu sein schien. Sie hatte sogar seine Augenbrauen, und ihre Augen trugen den gleichen Blauton wie die seinen.
    Er trat näher auf sie zu und betrachtete die Fülle feuriger Locken, die sich bis auf ihre Taille ergossen, und ihre klare, beinahe durchscheinende Haut - beides offenbar Vermächtnisse ihrer Mutter.
    Er hätte niemals gedacht, dass er sich einmal im Gesicht eines anderen Menschen erkennen würde - eine solche Ähnlichkeit konnte nur durch Blutsverwandte entstanden sein. Er trat noch näher heran und entdeckte in ihrem Gesicht eine Mischung aus Lieblichkeit und Weisheit, die ihn irgendwie schmerzlich berührte. Sie hatte sich an jenem Tag vor einem Monat als Bastard bezeichnet, und er bedauerte, dass sie die hässlichen Seiten des Lebens schon so gut zu kennen schien.
    Er dachte nicht darüber nach, was er tat. Zum ersten Mal in seinem Leben folgte er seiner inneren Stimme, folgte

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