Fuehrungs-Spiel
durchschaut. Jetzt schien es mir Zeit für eine spielerische Weiterentwicklung durch Veränderung der Gesamt t aktik. So wollten wir in Zukunft das Aufbauspiel in der eigenen Hälfte unberechenbarer machen. Diese von mir sorgfältig vorbereitete Maßnahme hatte dann nebenbei noch den Effekt, dass alle, auch die erfahrenen Spieler, dieses System neu lernen mussten. Es ergab sich folglich eine Situation der Veränderungen, die nach innen wie nach außen wirkte.
Doch betraf dieser Veränderungsprozess bei Weitem nicht nur das Team und die Spieler. Auch in allen anderen Bereichen ging ich nach dem Prinzip der »zielgerichteten Variation« vor. Sowohl nach dem WM-Sieg 2002 als auch nach dem Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Athen veränderte ich den Mitarbeiterstab um das Team, vor allem um abgeschliffene Kommunikationsformen, eingefahrene Rituale und verlässliche Sympathiebeziehungen aufzubrechen. Die gesamte Gruppe, nicht nur die Mannschaft, musste sich neu finden. Dabei verließ ich für einen gewissen Zeitraum auch eines meiner führungspsychologischen Grundprinzipien, die Verlässlichkeit. Die Spieler und der Trainerstab sollten auch den Cheftrainer neu kennenlernen, auch meiner Person konnte sich für diesen wichtigen, aber überschaubaren Abschnitt keiner mehr wirklich sicher sein. Dass dieser Cheftrainer sich selbst zu Veränderungen in eigener Sache zwang, spürten alle. Auch ich hatte mich gerne an Rituale gewöhnt, an vorhersehbare Abläufe beim Training und an verlässliche Beziehungen. Und so bedeutete »Verändern« nicht zuletzt Arbeit an mir selbst. Ich hatte den nächsten Schritt zu gehen. Dass ich dies für alle sichtbar genauso geradlinig und konsequent anging, wie ich es von anderen forderte, war ein Grund, warum die meisten meiner Maßnahmen angenommen wurden. Führen bedeutet: Andere anleiten, aber gleichfalls sich selbst – das kann man beim Thema »Verändern« besonders gut erkennen.
So kam es auch zur durchaus umstrittenen Wahl des ostdeutschen Städtchens Köthen als Ort für einen unserer harten »Schweinelehrgänge«. Doch war der Wechsel der äußeren Umgebung nur ein Teilaspekt jener breit angelegten Veränderungsstrategie nach der WM 2002 und nach Olympia 2004. Die Zeitpläne für das gesamte Vorbereitungsprogramm, die Steuerung für die einzelnen Trainingsphasen, der Ablauf der einzelnen Trainingseinheit, ja selbst bewährte Übungen wurden variiert. Der Athletiktrainer, Klaus Brosius, hat, wenn ich mich recht erinnere, nach seinem Amtsantritt nach den Olympischen Spielen 2004 keine einzige seiner Übungen jemals exakt wiederholt. Dabei konnten und mussten wir, er und ich, jede dieser Neuerungen erklären. Das fiel nicht schwer, denn das Vorgehen war keinesfalls beliebig, sondern immer das Ergebnis einer ausführlichen Analyse des vorausgegangenen Erfolgs, die ich gemeinsam mit meinen Mitarbeitern, aber auch im Austausch mit erfahrenen Spielern, unternommen hatte.
Veränderungen nach erfolgreichen Turnieren, das hatte ich zu lernen, konnte zu Missmut – Monotonie, das hatte ich begriffen, konnte nur zu Misserfolg führen.
Verändern – grundsätzliche Anmerkungen
Auf die Lehre des griechischen Philosophen Heraklit wird der Ausdruck panta rhei zurückgeführt. Frei übersetzt bedeutet er, dass alles ständig im Wandel ist. Manches langsam, anderes schnell mit weiter steigender Tendenz.
Der für viele Menschen äußerst wichtige Wunsch nach Sicherheit und Routine und möglichst wenig Veränderung (zumindest, wenn sie nicht auf eigenes Betreiben herbeigeführt wird) ist nur dann zu erfüllen, wenn Bedingungen konstant bleiben. Durch unzählbar viele Einflüsse verändert sich unsere Welt jedoch ständig, und wir müssen uns anpassen, wenn wir »dabei sein wollen«. Und oft gibt es dazu kaum eine Alternative. Denken wir nur an die enormen Veränderungen, die Computer mit ihren immer leistungsstärkeren Prozessoren und größeren Speichermöglichkeiten in das öffentliche, private und berufliche Leben gebracht haben. Wer die Grund regeln der elektronischen Datenverarbeitung nicht beherrscht, hat zunehmend Probleme, sich in unserer Gesellschaft zurechtzufinden.
Möchte man besondere Leistungen erbringen, wie es für Spitzenkräfte im Sport und in der Wirtschaft unabdingbar ist, gibt es zwei Möglichkeiten, auf den permanenten Veränderungsdruck zu reagieren. Man passt sich sehr schnell neuen Gegebenheiten an (in der Wirtschaft zum Beispiel aktuelle Markt
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