Fünf alte Damen
Schopenhauer ähnlicher denn
je. «Sie gehen mit Medikamenten um, kein Zweifel. Setzen Sie sich doch.»
Verblüfft ließ ich mich auf das Leder
nieder. Wenn alles so gut war an ihm wie seine Nase, dann hieß es vorsichtig
sein.
«Ich heiße Wiebach», sagte er und
setzte sich ebenfalls. «Professor Walter Wiebach. Oberstudiendirektor. Leider
im Ruhestand.»
Aha. Ein leibhaftiger Rektor. Ich
dachte blitzschnell an mein altes Gymnasium.
‹Klein, in der Pause zum Rektor!›
Ja. Und jetzt saß ich wieder vor einem
und sollte ihm auch noch was vorlügen. Betragen mangelhaft.
«Entschuldigen Sie nochmals, Herr
Professor», sagte ich. «Es ist nur eine Kleinigkeit— ich hätte es Ihnen auch an
der Tür sagen können, aber Sie waren so freundlich— »
«Aber das tut gar nichts, bester Herr Doktor»,
rief er. «Ich bin ein alter Mann, habe nur Bücher um mich herum— ich rede gern
einmal mit einem— » Schüler hatte er jetzt wahrscheinlich sagen wollen— «mit
einem jüngeren Herrn. Aber wenn Sie wegen des Unterrichtes kommen, werde ich,
so fürchte ich, nicht mehr viel für Sie tun können. Die Musiklehrerin war meine
Schwester. Sie ist, wie ich bedaure sagen zu müssen, vor acht Wochen gestorben.
Ja.»
Ich heuchelte Bestürzung, obwohl ich es
gewußt hatte.
«Oh, das tut mir aber leid», murmelte
ich. «Da bin ich ja vollkommen fehl am Platze. Wenn Sie gestatten— »
Er hob beide Hände in die Höhe.
«Nein, nein! Bleiben Sie nur. Es kommen
sehr oft Leute wegen des Unterrichtes und auch viele ihrer alten Schüler. Ich
muß nun endlich einmal das irreführende Schild entfernen. Aber bisher hatte ich
zuviel anderes zu tun. Ja— mit alten Sprachen und Literaturgeschichte könnte
ich Ihnen dienen— was aber die Musik betrifft, so hat die Natur diese Gabe in
unserer Familie sehr einseitig verschenkt— sehr, sehr einseitig.»
«Sicher war dafür das pädagogische
Talent gleichmäßiger verteilt», sagte ich beflissen.
Er lehnte sich zurück und stützte das
Kinn leicht auf die Fingerspitzen.
«Wir sind eine alte Lehrerfamilie.
Schon im sechzehnten Jahrhundert sind Nachweise dieser Tätigkeit unserer
Familie zu erbringen. Alles Schulmeister. Sie müssen wissen, ich bin damit
beschäftigt, eine Chronik unserer Familie zu verfassen.»
«Interessant», sagte ich, obwohl mich
von der ganzen Familie nur die Schwester Alma interessierte. «Arbeiten Sie auch
astronomisch?»
«Ah, Sie meinen wegen des Fernrohres?
Nun, ich beobachte zuweilen den Sternenhimmel. Aber ohne besonderen Ehrgeiz und
nicht systematisch. Dennoch sieht man manches Aufschlußreiche.»
Bei diesen Worten kehrte das
Satyrlächeln in sein Gesicht zurück, und ich suchte nach einem verborgenen
Doppelsinn in seinen Worten, ohne einen zu finden.
«Auf jeden Fall haben Sie keinen Mangel
an Beschäftigung», sagte ich und überlegte krampfhaft, wie ich ihn noch mal auf
seine Schwester bringen könnte. «Wenn ich eines Tages im Ruhestand bin, werde
ich einzig die verschiedenen Rotweinsorten ausprobieren.»
Wie auf einen Zauberspruch sprang er
auf.
«Rotwein! Ein verpflichtendes Wort! Ich
werde uns ein Glas herbeiholen.»
Ich sah verstohlen auf meine Uhr und
versuchte einen lahmen Protest. Nichts zu machen! Er war schon an einem seiner
Regale, räumte ein paar ehrwürdige Schwarten lieblos zur Seite und zog aus der Tiefe
des Faches eine angebrochene Flasche Rotspon hervor. Die Gläser waren zwei
Abteile weiter, ebenfalls getarnt durch Literatur. Das war ein Rektor nach
meinem Geschmack. Hoffentlich kam er nicht noch auf die Idee, mich aus seiner
Wasserpfeife rauchen zu lassen.
Die Gläser liefen voll mit leisem
Glucksen. Der Rotspon war ausgezeichnet. Der Rektor hob sein Glas gegen das
Fenster.
«Ein edler Tropfen, in der Tat! Ich
würde mehr davon trinken, allein— » er lächelte schmerzlich— «die Gesundheit
verbietet es. Und der Arzt.»
«Ein böser Mensch», bemerkte ich.
«Oh, sagen Sie das nicht. Kennen Sie
übrigens Herrn Doktor Leopold?»
Ich bedauerte.
«Er war auf meinem Gymnasium. Ich war
über Jahre sein Klassenlehrer. Ein ausgezeichneter Lateiner, das darf ich
sagen. Auch das Griechische, wirklich, alle Achtung. Mit dem Deutschen— nun,
hier waren die Leistungen weniger gleichmäßig. Wie dem immer sei— heute ist er
unser Hausarzt, hat eine vortreffliche Praxis ganz in der Nähe. Trotz seiner
Jugend ein gewissenhafter, sehr tüchtiger Arzt. Ich bin stolz auf ihn, wie ich
mich freue sagen zu können.»
Der alte Herr
Weitere Kostenlose Bücher