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Fünf alte Damen

Fünf alte Damen

Titel: Fünf alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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können.
    «Ich bin Doktor Klein», sagte ich. «Und
hätte gern Herrn Doktor Krompecher gesprochen— wenn sich das machen läßt.»
    «Sie sind— ein Kollege?»
    Sie hielt mich für einen arbeitslosen
Referendar, der eine Stelle im Vorzimmer suchte.
    «Meinen Sie, daß mir ein Talar steht?»
    Ihre Samtaugen wanderten hoch an mir
und wieder herunter. Aber ihre Phantasie schien nicht auszureichen, sich das
Bild vorzustellen.
    «Wenn Sie mir vielleicht sagen— »
    «Ich bin Arzt», sagte ich. «Ich brauche
eine Auskunft von Herrn Doktor Krompecher.»
    Sie malte mit dem Silberstift meinen
Namen auf einen Block. Dann blickte sie auf, zog die Lippen rund und sah tief
bekümmert aus.
    «Ich weiß nicht, ob der Herr Doktor Sie
noch drannehmen kann. Es warten zwei Klienten, und dann— »
    «Und dann muß er zum Gericht», fuhr ich
fort.
    «Ja. Wenn Sie sich angemeldet hätten— »
    «Dann müßte er jetzt auch zum Gericht.»
Ich stützte die Ellenbogen auf das polierte Holz und lächelte flehend in ihr
Pastellgesicht. «Ich kann nicht eher kommen. Der Herr Rechtsanwalt war neulich bei
mir, genauso unangemeldet wie ich. Ich habe ihn auch noch drangenommen.»
    Sie fand es offenbar unangebracht, daß
ich mich mit Krompecher in einem Atemzuge nannte. Ihre Schultern hoben sich
leicht unter der Silberbluse.
    «Ich will es gern versuchen, Herr Doktor.
Aber ich kann Ihnen nichts versprechen.»
    «Immer dasselbe bei den Frauen»,
erwiderte ich. «Sagen Sie ihm bitte, es handele sich um Frau Herwig. Jenny
Herwig.»
    Sie schrieb den Namen der Toten unter
meinen. Dann wies sie mit Grazie auf die Tür an der rechten Seite der Schranke.
    «Bitte nehmen Sie im Wartezimmer Platz.
Sie werden aufgerufen.»
    Ich bedankte mich höflich und entfernte
mich aus dem Bann ihrer Glutaugen. Das Wartezimmer machte einen bedeutend
gepflegteren Eindruck als meins. Parkett, haltbare Stahlrohrmöbel und wuchtige
Aschenbecher. Zwei Klienten saßen da und starrten vor sich hin, als wären sie
beim Zahnarzt. Ich grüßte sie und ließ mich im nächsten Stuhl nieder.
    Sie murmelten nur leise.
    Der erste war ein beleibter Herr mit
rundlichen Fingern, mit denen er ständig sein Kinn massierte. Sah aus wie ein
mittlerer Unternehmer aus der Baubranche. Vermutlich hatte er nach einem
ausgedehnten Richtfest den Wagen doch noch nach Hause gefahren, und nun lag der
Führerschein wohlverwahrt in der Strafakte, und der Herr Rechtsanwalt sollte
einen Weg finden, ihn etwas eher wiederzukriegen, denn der Chauffeur kostete
Geld, und man konnte nicht mehr mit der Sekretärin verreisen.
    Dann war noch eine Dame da. Sie war
jünger angezogen, als für ihr Alter gut war, und machte ein Gesicht, als hätte
sie eine Kreuzspinne verschluckt. Wehe ihrem Gegner. Ich taxierte sie auf
Hausbesitzerin mit unbotmäßigen Mietern, mit denen nicht mehr gesprochen,
sondern nur noch per Anwalt verkehrt wurde. Jetzt lief die Räumungsklage, und
die Akte nahm an Gewicht zu. Hoffentlich kam die Dame zu einem anderen Herrn,
wenn noch einer da war. Sonst würde ich heute keinen Krompecher mehr sehen.
    Als meine Umgebung mir nichts mehr
bieten konnte, begann ich in den Zeitungen und Broschüren herumzublättern, die
auf dem Tisch lagen. Die Blätter waren fast alle neueren Datums, aber ich fand
auch einige Vorkriegsnummern, in denen die Witze noch Überschriften hatten wie
‹Dann allerdings!› und ‹Schlagfertig›. Ich las lustlos durcheinander, sah
amtierende Monarchen mit ihren Frauen und abgedankte mit ihren Freundinnen,
Sportskanonen und Überschwemmungen, viel Reklame und noch mehr leckere
Teenager, die mich aus allen Stellungen anlächelten.
    Ein Provinzblatt lag herum, der
Landkreis hatte auch etwas zu bieten. Ich wurde informiert, daß der Blitzschlag
die Scheune des Bauern Heinrich vernichtet hatte, Brandstiftung erschiene
jedoch nicht ausgeschlossen. Die Hochwassergefahr wäre gebannt. Zum
diesjährigen Schützenkönig sei Karl Feurer aus Waldkirchen avanciert.
    Unterm Strich im Unterhaltungsteil war
ein Roman. ‹Wenn die Bergglocken läuten›, und ganz hinten stand noch eine
Kurzgeschichte.
    ‹Mister Crane geht an Land.›
    Ich las.
    Auf einmal fühlte ich nichts mehr um
mich herum. Ich merkte nicht, wie der Mann aufgerufen wurde und dann die Frau.
Ich las die Geschichte und noch einmal, und dann sah ich, daß ich allein war.
Ich starrte die Zeitung an. Es war ein alltägliches Provinzblatt, kleines
Format, grobes Papier, schlechter Druck. Hinten stand eine

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