Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
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Doch es musste sein. Am Abend standen sie gemeinsam auf dem Bahnsteig. Evangeline lächelte, bis ihr das Gesicht wehtat. Sie würde den Zug am nächsten Morgen nehmen. Während sie warteten, suchte Evangeline nach einem Taschentuch, das sie erst brauchen würde, wenn Richard abgereist war, das hatte sie sich fest vorgenommen. Auf dem Boden der Tasche ertastete sie etwas und zog es hervor. Ihre Augen weiteten sich. »Oh, Richard, es ist das goldene Baby! Ich habe es aufbewahrt … als Glücksbringer. Nimm du es jetzt, damit es dir Glück bringt.«
Er ließ es in seine Tasche gleiten. Dann legte er die Arme um sie. Sie lehnte sich an ihn und keiner von beiden sagte etwas, bis der Zug kam. Als er in den Bahnhof einfuhr, nahm Richard ihr Gesicht in beide Hände. »Ich möchte mir dein Gesicht ganz genau einprägen. Weißt du was? Als ich in Crowmarsh Priors aus dem Zug stieg, wusste ich nicht mehr, wie wunderschön du bist. Wie konnte ich das nur vergessen?« Er gab ihr rasch einen Kuss auf die Stirn, dann stieg er in den Zug und war verschwunden. Evangeline kehrte in die Pension zurück, ging in ihr Zimmer und warf sich weinend auf das Himmelbett.
Während Evangeline weg war, hatte sich Alice so gut es ging mit Arbeit abgelenkt. Sie wollte auf keinen Fall an Richard und Evangeline denken. Die Tage wurden länger und zwischen Schulschluss und dem Tee für ihre Mutter hatte sie eine Stunde Zeit. In ihremHaus fand sie ein paar Gummistiefel, die offenbar dem vorherigen Bewohner gehört hatten, und wenn das Wetter es zuließ, unternahm sie lange Spaziergänge. Sie stapfte über die schlammigsten Felder und kam erst in der Dämmerung nach Hause, um dort von einer Litanei von Klagen überschüttet zu werden. Lang nachdem ihre Mutter zu Bett gegangen war, wühlte sie in den Papieren ihres Vaters, auf der Suche nach den alten Aufzeichnungen über den Pfarrbezirk und der Karte, die er gezeichnet hatte. Schließlich fand sie beides und brütete bis spät in der Nacht über ihnen. Erstaunlicherweise erwähnten die Aufzeichnungen, dass es auf dem Friedhof von St. Gabriel unter einem Grab einen Eingang zu einem alten Schmugglertunnel gab, doch genauere Angaben konnte sie nicht finden. Am nächsten Tag ging Alice über den Friedhof und sah sich die Grabhügel und Grabsteine an, die allmählich wieder zum Vorschein kamen, je mehr Gestrüpp sie wegschlugen. Sie entdeckte nichts, was wie ein Tunneleingang aussah. Das Grab mit dem Tunnel zu finden, falls es überhaupt existierte, glich der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Und wie um alles in der Welt würden sie feststellen, dass sie es gefunden hatten? Verlief der Tunnel möglicherweise unter einem Sarg? Selbst Oliver würde misstrauisch werden, wenn sie plötzlich anfingen, die Toten auszugraben.
Bis Anfang Mai hatten sie lediglich einen Pfad zur ältesten Seite der Kirche hinter dem Glockenturm freilegen können, mehr hatten sie nicht geschafft. Alice wollte die ganze Sache aufgeben, doch die anderen ließen sie nicht. Also versuchte sie immer und immer wieder, sich den Verlauf des Tunnels in Gedanken vorzustellen. Wenn man vom Friedhof aus losging und am Strand wieder herauskam … Sie hatte jedoch nur eine vage Erinnerung daran, wo der Eingang zur Höhle sein könnte. Außerdem gab es Verteidigungsanlagen an der Küste, Minen und Stacheldrahtzäune; sie mussten also den Eingang zum Tunnel finden und hoffen, dass die Armee ihn nicht entdeckt und zugeschüttet hatte. Inzwischen bedauerte Alice aus tiefster Seele, dass sie den elenden Tunnel auf Frances’ Party überhaupt erwähnt hatte, doch Tanni hatte erfahren, dass man Liliund Klara möglicherweise gefunden hatte, Elsie war fest entschlossen weiterzumachen, Frances wollte ihr Versprechen halten und seit Evangeline aus ihrem Urlaub mit Richard zurückgekehrt war, schien sie ebenso sehr bemüht zu sein, sich zu beschäftigen und abzulenken wie Alice.
»Ich bin eine verdammte Närrin«, brummte Alice nach einem meilenweiten Marsch an die Küste. Überall standen Warnschilder mit der Aufschrift »Achtung, MINEN! Zutritt verboten«. Sie erinnerte sich an einen Abhang und an eine schmale Öffnung. Dass es sich dabei um eine Öffnung handelte, erkannte man erst, wenn man hineinspähte. Ihr Vater hatte auf einen dunklen Fleck gezeigt. »Siehst du das? Es sieht aus wie ein Fels, der vom Wasser überspült wird, doch schau genau hin, wenn die Flut zurückgeht.« Und tatsächlich hatte Alice gesehen, wie
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