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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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gequält hat. Aber diesmal dringt es an einer anderen Stelle in sie ein, nicht als Angreifer, diesmal kommt es als Freund, ein alter Freund aus der Vergangenheit, der eine Geschichte mitbringt, die nur sie kennen.
    Uns. Mit unbeweglichen Lippen spricht sie das Wort vor sich her, wie eine Vokabel, die man auf keinen Fall vergessen darf, uns, uns, uns. Vor Freude über die unerwartete Verbundenheit, die in diesem Wort liegt, traut sie sich kaum, zu antworten, als könnte es sonst zwischen den anderen verloren gehen.
    »Na gut«, bringt sie endlich heraus, mühsam, als täte sie ihm einen Gefallen. Sie schiebt sich an ihm vorbei in den Gang, spürt das Geheimnis zwischen ihnen plötzlich so deutlich wie einen Gegenstand, wie etwas Schweres, das sie zusammen tragen, seine Hände an der einen Seite, ihre an der anderen. Sie schaut kurz auf, gerade lang genug, um sich zu versichern, dass der gelbe Zahn noch immer unter der Oberlippe hervorblitzt.
    »Warte lieber ein paar Minuten«, kann sie nicht widerstehen, ihre Komplizenschaft noch etwas in die Länge zu ziehen. Ihr Blick huscht zum Innenhof. Sie versucht, verschwörerisch zu kucken, während sie wieder den Kopf hebt. »Nicht, dass mein Mann misstrauisch wird.«
    Er nickt langsam. Seine Mundwinkel zucken, und zum ersten Mal wird auch der andere Schneidezahn sichtbar.
    »Gut«, sagt sie und nickt ebenfalls, als ginge es darum, eine Geschäftsvereinbarung zu besiegeln. Sie macht einen Schritt Richtung Innenhof. Dann dreht sie sich doch noch mal um, als habe sie etwas vergessen. Sie fühlt sich geradezu verwegen, als sie die Hand nach ihm ausstreckt und einen unsichtbaren Fleck von seiner Weste wischt.
    »Jetzt ist es gut«, sagt sie, bevor sie den Gang entlangrennt, an den Mülltonnen vorbei. Ihre Fingerspitzen brennen, während die Tür hinter ihr ins Schloss fällt.

9. Kapitel
    Als sie am nächsten Morgen erwachte, fühlte es sich an, als würde eine Spinne hinter ihrer Stirn sitzen und die Beine um den rechten Augapfel krallen. Ihr Mund war trocken, der Nacken feucht, sie brauchte mehrere Anläufe, bis sie die Wimpern so weit auseinanderbekam, dass sie den Wecker sehen konnte, bei dessen Anblick sie entsetzt hochfuhr.
    »Nicht aufstehen«, hörte sie Arnos Stimme, »du gehörst ins Bett.« Eine glühendheiße Hand legte sich auf ihre Stirn und drückte sie zurück auf die Matratze.
    »Ich muss doch arbeiten!«, protestierte meine Mutter.
    Aber ihre Lippen ließen keinen Ton aus dem Mund. Die Zunge blieb an ihren Zähnen kleben. An ihrem Gaumen machte sich ein süßlicher Geschmack breit.
    Sie versuchte, sich zur Seite zu drehen, wollte die Hand abschütteln, bevor sie ihr die Stirn noch ganz versengte, aber sie konnte sich keinen Millimeter rühren. Verwirrt betrachtete sie den Oberarm, der schräg über ihr aufragte und eigentlich gar nicht so kräftig wirkte, ein mickriger Hügel, der zwischen Schulter und Armbeuge kaum merklich anstieg. Dann sah sie Arnos Zeigefinger, der unvermittelt in ihr linkes Auge fuhr. Sein Daumen kroch hinterher. Als würde er einen eingetrockneten Schmutzrest vom Teller kratzen, grub er sich in die Falte zwischen den Lidern und rieb darin herum, fuhr an ihrem Nasenflügel entlang, nur um ein ums andere Mal enttäuscht in die leeren Fingerkuppen zu blicken und von vorne anzufangen, bis er endlich etwas Gelbliches zwischen den Nägeln herausschnippste.
    »Schlaf noch ein bisschen«, flüsterte er. Die Klinke schnalzte nach oben, dann knarrten die Dielen im Flur.
    Meine Mutter rieb sich über die Lider, die sich sofort wieder aneinanderklammerten, stemmte sich mühsam mit einem Arm nach oben. Ein dumpfer Schmerz fuhr ihr in die Schulter. Sie versuchte, sich mit dem anderen Arm abzustützen, aber stattdessen sackte der erste zurück aufs Bett. Vielleicht hat sich da gestern bei dem Sturz was verkeilt, dachte sie, und mit einem Mal ist alles wieder da, seine Hand in ihrer, zwischen ihren Beinen, unter der Bluse, um ihre Brustwarzen, sie zuckt zusammen, was war das warst doch nicht du hättest doch nicht, sie reißt den Mund auf, schnappt nach Luft.
    Ihre Nägel bohren sich ins Laken, während sich ihr Körper in schnellen Schlucken mit Erinnerung vollsaugt. Die Bilder schießen ihr in die Venen, blähen sich so auf, dass es unter der Haut zu kribbeln beginnt.
    Sie streckt die Hand unter der Decke aus, Finger für Finger für Finger für Finger für Finger, lässt sie nach unten gleiten. Trödelt einen Augenblick an der Hüfte herum. Malt Kreise

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