Fünf Kopeken
an die Lippen. » ZEI - GEN !, ZEI - GEN !«
Meine Mutter winkte ab, stopfte eilig die heraushängenden Träger zurück.
»Na komm schon!«, rief nun auch Babsi, »das macht Spaß!«
»Nein, nein, ich muss wieder los«, sagte meine Mutter und ging zur Haustür, aber Jule und Babsi stellten sich ihr in den Weg, drängten sie lachend zurück in die Wohnung, bis sie schließlich doch einwilligte, wenigstens den Morgenmantel anzuprobieren.
Verlegen hielt sie den Stoff vor der Brust zusammen und drehte sich um sich selbst, während die beiden jetzt unisono uh-huten! Als säßen sie in einem Fußballstadion, klatschten sie in die Hände, feuerten meine Mutter an, bis die, langsam selbstsicherer werdend, den Flur auf- und abschritt, die Hand in die Hüfte stützte, als Babsi »you can leave your hat on!« grölte, endlich sogar den Morgenmantel kurz zur Seite rutschen und die nackte Schulter aufblitzen ließ, während sie mit den getuschten Wimpern klimperte.
»Heiß!«, rief Jule und jaulte so, dass meine Mutter es allmählich fast selbst glaubte und gleich noch mal eine Runde drehte.
Aber als sie endlich wieder auf die Straße trat, hatte sie noch immer 44 Stunden totzuschlagen. Ziellos spazierte sie an den Geschäften entlang, wackelte ein wenig mit dem Po, während ihr die Menschen auf dem Gehweg auswichen, innehielten, ihr nachschauten. Oder vielleicht bildete sie sich das auch nur ein.
Sie ging in den Park, legte sich in die Sonne. Spürte die kitzelnden Gräser an ihrem Rücken, die Wärme auf ihrer Haut.
Es war schon dunkel, als sie endlich doch den Schlüssel ins Schloss steckte, so selig-doof, dass sie gerade noch daran dachte, ihre Tüten hinter den Schrank zu kicken, bevor mein Vater »Wo warst du denn so lange?« rufend angerannt kam.
Die Maskerade in ihrem Gesicht fiel ihr ein, die ihr jetzt doch wieder furchtbar lächerlich vorkam.
Aber Arno schien nichts aufzufallen. »Weißt du, wie spät es ist?«, rief er stattdessen.
»Tut mir leid«, sagte sie und legte die Hand über Nase und Mund. »Ich hab nicht auf die Uhr gekuckt.«
Arno trat hinter sie, um ihr aus der Jacke zu helfen. »Du hast ja keine Ahnung, was für Sorgen ich mir gemacht hab! Ich hab sogar Anna angerufen!«
Meine Mutter fuhr herum, starrte ihn an, während sie noch immer halb in den Ärmeln feststeckte. »Was hat sie gesagt?«
»War nur ihr Freund dran.« Arno zog die Jacke von ihren Handgelenken und hängte sie über den Kleiderständer. »Du hattest doch versprochen, dass wir uns heute Abend die Band anhören, von der Max erzählt hat!«
»Tschuldigung«, murmelte meine Mutter. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren, holte Luft. »Hast du mit ihm gesprochen?«
»Ja klar hab ich, er hat gesagt, wir können sie uns am Wochenende anhören, da spielen sie noch mal in einem Club in Kreuzberg, er setzt uns auf die Gäste … «
»Nein, ich mein, mit Annas Freund?«
»Ähm, nicht wirklich, nur ganz kurz.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Nichts. Nur, dass du schon nach Hause bist. Klang ganz nett.« Sein Blick wanderte zum Schrank, »gar nicht wie einer, der seine Frau betrügt.«
Wer hat denn was von betrügen gesagt?, dachte meine Mutter. Ahnte er etwas? Testete er sie? Oder verlor sie am Ende doch den Überblick über ihre Lügen?
»Ach was, wie hört sich denn ein Betrüger an?«, fragte sie und täuschte ein Husten vor, um das ein bisschen arg quiekig geratene Lachen darunter zu verbergen.
»Weiß nicht, irgendwie hinterhältiger.« Mein Vater schaute noch mal zum Schrank, sagte aber nur: »Wo warst du denn jetzt so lange?«
»Äh, in so einem Café.« Sie schob sich an ihm vorbei und lief ins Bad, »Anna wollte was mit mir besprechen, und ihr Freund hatte Besuch, also sind wir woanders hingegangen.«
»Was denn besprechen?« Arno kam ihr nach.
»Ähm«, meine Mutter drehte den Wasserhahn auf, hielt die Hände darunter, »sie hat mir angeboten, sie auf diese Konferenz in den USA zu begleiten und den Vortrag mit ihr zusammen zu halten. Der Großteil der Studie stammt ja eh von mir, also meinte sie, es sei nur fair, dass ich auch meinen Teil des Ruhms abbekomme.«
»Und ob!«, rief Arno. Er nahm das Handtuch vom Haken, hielt es ihr hin. »Wann soll das stattfinden?«
Meine Mutter zuckte die Schultern. »Irgendwann nach dem Examen. Im August oder so.«
Das Handtuch fiel zu Boden. »Im August?«, rief mein Vater. Er hielt die leeren Handflächen nach oben wie ein Bettler. »Einen Monat vor der Hochzeit? Du willst
Weitere Kostenlose Bücher