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Fünf Kopeken

Fünf Kopeken

Titel: Fünf Kopeken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stricker
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Großmutter.
    »Wer sagt denn, dass die Gundl nicht nach Berlin mitkommt und da beerdigt wird?«, knurrte mein Großvater.
    »In Berlin! Da würd sie doch gar keinen kennen!«
    »Das müssen wir doch nicht jetzt besprechen«, flüsterte die Ilse.
    »Was du heute kannst besorgen«, antwortete meine Großmutter, als würde ein Gummi zurückschnalzen.
    Helm schüttelte kaum merklich den Kopf.
    »Oder sollen wir sie verbrennen?«, fuhr meine Großmutter fort. »Das machen sie doch jetzt alleweil auch bei uns.«
    »Ja, wenn se zu knausrig sind für nen Sarg«, antwortete mein Großvater.
    Meine Großmutter riss die Hände in die Luft. »Was du mir wieder unterstellst!«
    »Ich unterstell dir gar nix. Ich sag nur, die Schneiders wurden noch nie verbrannt, da fangen wir jetzt nicht damit an.«
    Ilse schluckte. »Ich fände die Vorstellung furchtbar, dass mich jemand anzündet. Ich hätte immer Angst, noch was zu spüren.«
    Meine Mutter schaute zur Sicherheit noch mal auf ihr Kinn.
    »Also wenn ihr mich fragt, hätte die Gundl nicht in Berlin beerdigt werden wollen«, redete meine Großmutter unbeirrt weiter.
    »Dich fragt aber niemand«, sagte mein Großvater.
    »Ach ja?«, rief meine Großmutter, »ach ja? Am besten sag ich gar nix mehr!« Sie presste die Lippen aufeinander, wie ein kleines Mädchen, dem die beste Freundin gerade erzählt hat, dass die Mutter manchmal den Nachbarn zum gemeinsamen Baden einlädt, konnte, als Ilses Magen unüberhörbar knurrte, sich dann aber doch nicht verkneifen, »Liebes, du kannst wirklich was essen gehen! In der Kantine gibt’s heute diesen Kalten Hund« zu rufen, selbst hier noch die Rolle der Gastgeberin einnehmend.
    Ilse schüttelte den Kopf. »Ich kann jetzt nicht weg.« Sie streichelte eisern weiter, woraufhin mein Großvater das letzte bisschen Zurückhaltung aufgab und »Herrje, als wären du und die Gundl so dicke gewesen!« rief.
    »Was soll das denn bitte heißen?«, flüsterte Ilse.
    »Du tust grad so, als wär ihr Tod weiß Gott was für ein Verlust«, rief mein Großvater. »Ihr habt euch doch wenn’s hochkommt dreimal im Jahr gesehen! Und jetzt kannst du auf einmal nicht mal mehr ohne sie pinkeln gehen?«
    Und da flippte Helm plötzlich aus.
    Er schlug mit der flachen Hand gegen das Bettgestell und begann loszubrüllen, als hätte endlich jemand den Stecker reingedrückt. »Zum Deiwel noch emol«, schrie er, »so kann man doch nicht mit uns umgehen!« Er stapfte mit dem Fuß auf, schlug noch mal gegen den Bettrahmen, aber diesmal anscheinend mehr, um sich abzustoßen. Dann rannte er in den Gang hinaus ins Schwesternzimmer und verlangte, sofort, versteht ihr das hier? He? SO - FORT einen Arzt zu sprechen, am besten einen, der auch einen Satz zu Ende bringen könne, ohne dass er erst ein Aufputschmittel einschmeißen müsse. »Oder braucht ihr dafür erst einen Bezugsschein?« Mit hochrotem Kopf schwankte er in der Tür und schimpfte über die Unverschämtheit und die Unverschämtheit des Staates, der solche Unverschämtheiten dulde, während ihm meine restliche Familie nachgelaufen kam.
    »Wo ist denn hier die Dankbarkeit«, schrie er, »ohne uns wüsstet ihr doch nicht mal, was eine Banane ist!«, woraufhin sich eine der Schwestern gewohnt träge erhob.
    Aber der Helm war jetzt in Fahrt. Immer weiter brüllend rannte er um sie herum, wie ein Hund vorm Gassigehen, beschuldigte sie gleichzeitig des Kommunismus, der Schwerhörigkeit und ganz generell der Unfähigkeit, schrie sich so heiß, dass er sich das Jackett von den Schultern riss, worunter ein kurzärmeliges Hemd zum Vorschein kam, das vielleicht »einer auf dem Bau, aber Helm, ich bitte dich!, doch kein Entrepreneur« tragen könne, wie meine Großmutter anmerkte, wofür sie endlich den bereits angekündigten Anschiss kassierte.
    Es war Ilse, der es letztlich gelang, Helms Redefluss, der in immer heftigeren Wellen über die Ufer des Vertretbaren schlug, einzudämmen. Genauso langsam und vorsichtig wie zuvor bei Gundl legte sie ihre Finger auf seine Schulter, ließ sie in kreisenden Bewegungen hinabwandern, bis sie ihn schließlich hinterrücks umschloss und nicht mehr losließ, so sehr sich sein plötzlich von heftigem Schluchzen geschüttelter Körper auch dagegen wehrte. Stattdessen begann sie selbst zu weinen. »Es ist gut«, wimmerte sie in seine Achselhöhle, »schon gut« und auch einfach nur »gut.«
    Eine Weile blieben sie so in ihrem doppelten Katzenbuckel gefangen. Dann rutschte Ilse endlich von seinem

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