Fünf Kopeken
jetzt mit heute Abend?«, fragte Arno. »Glaub mir, das wird dir gut tun. Mal ein bisschen raus. Man wird ja blöd sonst.«
Sie strich sich über den Oberschenkel, in dem endlich wieder Gefühl war. »Meinetwegen«, sagte sie gequält, »aber wirklich nicht lang.«
»Großes Pionierehrenwort«, antwortete er und lachte breit, während meine Mutter sich erhob.
Meine Großmutter kam zurück, vier braune, vom Fett aufgeweichte Bäckertüten im Arm. »Wo willst du denn hin?«, rief sie.
»Wieder vor«, sagte meine Mutter und versuchte, sich an ihr vorbeizuschieben.
Die Bäckertüten versperrten ihr den Weg. »Und die Teilchen?«
»Ich ess später nebenher was.«
»Aber mach dir ein bisschen den Zucker runter. Du kriegst schon wieder diese Pickelchen am Mund.« Der linke kleine Finger meiner Großmutter hob sich aus der Kralle, mit der sie die Tüten umklammerte. »Wie damals, als du mit diesem Jungen auswarst, der sich nie für meinen Tee bedankt hat«, sie fuhr meiner Mutter über die Wange, »aber da wirst du dich nicht mehr dran erinnern, was?«
»Kann sein.« Meine Mutter wand sich unter der Berührung weg. In ihrem Rücken hörte sie, wie meine Großmutter meinem Vater von Uwe und dessen Händen in Babsis Hosentasche erzählte, während sie in den Laden lief, an einer Gruppe barsockiger Mädchen vorbei, die inmitten dutzender Schuhe die Hände auf die Münder pressten. Am Ende ihres Gekichers stand mein Großvater, die Hand auf der Schulter einer jungen, stark geschminkten Frau.
Frau Jablonsky (oder vielleicht auch eine andere Verkäuferin. Aber sie ist die Einzige, die ich mit Namen kenne, weil sie als Letzte aus der Zeit noch immer für uns, beziehungsweise jetzt eigentlich nur noch für den Max, arbeitet, also fällt es mir am leichtesten, mir die Szene mit ihr vorzustellen), Frau Jablonsky kam also auf meine Mutter zugerannt und hielt ihr eine aufgeschlagene Illustrierte hin. »Bei dem Lächeln dieser brasilianischen Schönheit geht die Sonne auf«, stand neben dem Foto, auf dem ebenjene junge Frau abgebildet war.
»Das ist doch die Ex von diesem Sportler«, murmelte sie aufgeregt und stach mit dem Finger in die Seite.
»Kenn ich nicht«, sagte meine Mutter.
»Der blonde, der, der damals da so viel gewonnen hat«, sagte Frau Jablonsky.
Mein Großvater lachte laut. Ohne die Hand von der schmalen Schulter zu nehmen, lehnte er sich über die Kasse. Die Lade sprang auf, die Klingel schepperte. »Wie die Pawlowschen Hunde«, rief er und lachte noch lauter.
Aus der Sportbekleidung kam eine andere Verkäuferin herübergelaufen. »Ist das nicht die …?«, murmelte sie.
»Doch! Das ist sie«, antwortete Frau Jablonsky stolz, als habe sie sie eigenhändig in den Laden geschleift, und hielt ihr die Zeitschrift hin.
Die andere Verkäuferin riss die Augen auf. »Die haben Schluss gemacht!«, rief sie.
»Das wusstest du nicht?«
Meine Mutter stöhnte laut. Sie schob die Zeitschrift aus dem Weg und ging auf meinen Großvater zu, dessen Arm von rechts nach links fuhr, wie der Schweinwerfer über einer Industrieparkdisko. Erst als sie direkt vor ihm stand, bemerkte er sie.
»Da kommt meine lohnenswerteste Anschaffung«, rief er und zog die Berühmtheit sanft herum. Seine Mundwinkel zuckten. Er hob den Arm und ließ die Finger im Hemdsärmel verschwinden. »Darf ich vorstellen, meine rechte Hand«, sagte er und schob ihr den Arm meiner Mutter entgegen.
Die Exfreundin des Sportlers strich sich das lange schwarze Haar über die Schultern und berührte ganz leicht die Hand meiner Mutter. Ihre Fingernägel waren weiß und eckig, als hätte sie sie mit der Papierschneidemaschine abgehackt.
»Meine Tochter wird sich um Sie kümmern«, sagte mein Großvater und, heftig nickend, »gerne auch in Ihrer Muttersprache!«
Er legte meiner Mutter die Finger auf den Rücken, ließ sie über ihre Wirbelsäule nach unten gleiten, als suche er nach dem richtigen Knopf. Und tatsächlich sprudelte es auch gleich »Prazer em conhecê lo« aus meiner Mutter heraus, »o que posso fazer por você?«, und wahrscheinlich noch ein bisschen mehr, aber dafür reichen meine Fremdsprachenkenntnisse leider nicht aus.
Und die der Berühmtheit offenbar genauso wenig.
Eigentlich sei nur ihr Vater Brasilianer, sagt sie verlegen, sie selbst spreche leider nur »un poquito« Portugiesisch.
»Um pouquinho«, sagte meine Mutter augenrollend, das allerdings nur zu mir, » un poquito ist Spanisch« und »aber natürlich, dann eben auf Deutsch«,
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