Fünf Schlösser
Champagne, vielleicht weil überhaupt und vor allem keine Russen hierher gekommen sind. Die Einwohner sind äußerst zuvorkommend, und das Hauptquartier hat keine Ursache zur Klage. Hier hab ich auch zum erstenmal ein französisches Schauspiel gesehn. Es war ein bürgerliches Lustspiel und übertraf all meine Erwartungen. Wie hölzerne Klötze kommen mir unsere deutschen Schauspieler dagegen vor. Gestern wurd eine dreiaktige Oper ›Virginie et Paulin‹ angekündigt. Da fand ich nun freilich, und zumal in den effektvollen Szenen, meine Leute sehr verändert. Es gab ein förmliches Heulen, Schreien und Herumfahren auf dem Theater, alle waren wie Besessene, und ich fürchtete ein paarmal, sie würden sich die Kleider vom Leibe reißen. Wenn ich nicht mehrere Schauspieler vom Tage vorher in ihnen wiedererkannt hätte, so würd ich nie geglaubt haben, daß dieselben Menschen in einem Genre so gut und in dem anderen so unsinnig sein könnten.«
Dieser zweite Brief aus Dijon ist vom 31.
Schon am Tage vorher hatten sich die Dinge vor Paris entschieden, und Karl von Hertefeld brach aus der burgundischen Hauptstadt (Dijon) auf, um sich, auf nächstem Wege, nach der Landeshauptstadt zu begeben. Am 5. oder 6. April traf er daselbst ein und schrieb von hier aus einige durch gute Beobachtung, bon sens und Humor ausgezeichnete Briefe, denen ich folgende Stellen entnehme.
Paris , 18. April 1814
Ich habe nun die herrlichen Kunstwerke mit Muße angesehen und jedesmal, daß ich wieder hinkam, hab ich etwas neues Herrliches entdeckt. Welcher Reichtum an Gemälden hier zusammengehäuft ist, kannst Du daraus abnehmen, daß sich hier allein 25 Raffaels befinden. Alles ist nach Schulen geordnet, und wundert es mich nur, daß man die deutsche mit der niederländischen zusammengeworfen hat.
Und wie die Sammlungen, habe ich nun auch die berühmtesten Theater gesehen. Die Große Oper ist herrlich, trotz des Gebrülls der Sänger bei Bravourarien. Ich sah »Iphigénie en Aulide«. Mir gefiel der Gesang anfänglich recht gut, als aber die Stelle kam, wo Achill und Agamemnon sich zanken, war es kaum zum Aushalten. Und doch erfolgte gerade jetzt ein Applaudissement, daß das Haus dröhnte. Hernach sah ich »Orphée«, der mir viel besser gefiel, weil nicht voll so stark geschrieen wurde. Aber was soll ich vom Ballet sagen! Das reißt einen ganz hin; alles steht an seinem Platz und greift ineinander; jeder Figurant ist in seiner Art ein Künstler. Will man aber einen Körper sehn, der zum Äther wird, so ist es die Gardel. Beschreiben läßt sich ihr Tanz gar nicht. Man sieht weder Gliederverdrehungen noch tours de force; alles ist Grazie, wenn sie über das Theater hinschwebt. Was aber am meisten zu verwundern ist, ist das, daß diese Frau schon zweiundvierzig Jahre zählt.
Im Théâtre français habe ich »Semiramis« gesehn. Die berühmte George spielte die Semiramis und Talma den Arsace. Talma hat mir sehr genügt, aber die George gar nicht. Es ist sonderbar mit der französischen Tragödie; man begreift anfänglich nicht, wie diese Deklamationsweise gefallen kann, und am Ende bringt sie doch einen schönen Effekt hervor. Bei dieser Gelegenheit muß ich noch etwas erwähnen, was mir in diesem Stücke sehr auffiel und vielleicht als Kommentar für die wahre Stimmung des französischen Volkes dienen kann. Talma hat nämlich als Arsace folgende Worte zu sprechen: »Le ciel donne souvent des rois dans sa vengeance.« Bei dieser Sentenz erfolgte ein Beifall, daß das ganze Haus widerhallte. Und gewiß wurde nicht bloß deshalb applaudiert, weil Talma die Worte schön gesprochen hatte.
In der eigentlichen leichten Komödie sind die Franzosen unübertrefflich, und in den kleineren Vaudevilletheatern, wo dergleichen aufgeführt wird, muß man sich fast totlachen. Sinn ist in all diesen Stücken herzlich wenig, aber darauf kommt es auch gar nicht an; wenn nur der Unsinn gut gespielt wird, so geht das Publikum vergnügt nach Haus. Und mir ist es ebenso gegangen. In Deutschland müßte man vor Langeweile umkommen, wenn einem so was vorgespielt würde.
Zum Schluß muß ich Dir noch schreiben, wie sich alle Theater beeifern, Gelegenheitsstücke vorzufahren, in denen ein Vive le roi angebracht werden kann. Da nun aber die französische Geschichte ziemlich arm an edlen Königen ist, so fällt alles über Henri IV. her, der jetzt unter allen möglichen Formen, auf allen möglichen Bühnen herumwandeln muß. Da gibt es »La partie de chasse de
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