Fünf: Schwarzwald Thriller 1
es sonst noch was sein?«, fragte sie die alte Frau, die sie verständnislos ansah. »Darf es sonst noch etwas sein?«, wiederholte sie etwas lauter und Frau Stein schüttelte mit einem leichten Schulterzucken den Kopf.
»Nein, danke, ich glaube, das war alles.«
Katrin lächelte. Sie mochte Frau Stein. Die alte Dame war neunundachtzig und trug, seit Katrin denken konnte, eine hellblau geblümte Kittelschürze und Filzpantoffeln. Aber sie war immer freundlich und hatte sich bis ins hohe Alter einen liebenswert schüchternen, mädchenhaften Charme bewahrt. Sie lebte allein und versorgte sich und ihre unzähligen Katzen noch immer selbst.
Katrin wartete geduldig, bis Frau Stein ihre Brötchen, die Leberwurst und zwei Liter Milch eingepackt hatte. »Das macht dann fünf Euro fünfzig, Frau Stein«, sagte sie diesmal gleich so laut, dass Frau Stein sie auch verstehen konnte.
Frau Stein reichte ihr den geöffneten Geldbeutel über die Theke. »Suchen Sie sich bitte das Geld selbst heraus.« Sie lächelte entschuldigend und warf einen kurzen Blick auf ihre krummen, arthritischen Finger.
Nachdem Katrin kassiert und für Frau Stein die Einkaufstasche an die Tür getragen hatte, ließ sie sich erschöpft auf einen Stuhl plumpsen. »Ich wusste gar nicht mehr, wie anstrengend es ist, den ganzen Tag hinter der Theke zu stehen.«
Ihrer Mutter schaltete die Lichter aus und schloss die Ladentür zu. »Ja, mein Schatz. Es ist eben schon eine Zeit her, seit du das letzte Mal hier gearbeitet hast.« Ihre Mutter kam herüber und drückte sie auf einmal fest an ihren großen Busen. »Es ist schön, dass du wieder hier bist, mein Schatz. Hier bei uns ist die Welt doch noch in Ordnung.«
»Nicht, Mama, bitte …« Ungeduldig befreite sich Katrin aus der Umarmung ihrer Mutter. Sie war vierundzwanzig und fühlte sich zu alt, um sich wie ein Kind an Mamas Busen auszuweinen.
»Ich sage ja gar nichts. Es ist nur, dass ich so froh bin, dass du wieder hier bist. Die Großstadt ist einfach nichts für so Landeier, wie wir es sind. Dafür muss man geboren sein, und das bist du eben nicht, genauso wenig wie ich.«
»Ich bin nicht wegen der Großstadt zurückgekommen. Außerdem ist Freiburg nicht gerade der Nabel der Welt.«
»Nein, das ist es wirklich nicht«, meinte ihre Mutter und lachte.
»Ich habe mich in Freiburg immer wohlgefühlt und in ein paar Wochen werde ich auch meinen Dienst wieder aufnehmen«, sagte Katrin, selbst nicht ganz von der Aufrichtigkeit ihrer Worte überzeugt.
»Du nimmst deinen Dienst erst dann wieder auf, wenn der Arzt sagt, dass du über die Sache weg bist.«
»Ich liebe meinen Beruf, Mama. Ich bin zur Kripo gegangen, weil ich an eine bessere Welt glaube, weil ich nicht möchte, dass sich irgendeiner das Recht herausnehmen kann, ein Verbrechen zu begehen, ohne dafür bestraft zu werden. Es war mein erster Mordfall, und dann auch noch dieses kleine Kind.« Sie schluckte. »Selbst Kommissar Horn meinte, dass man da durchaus den Boden unter den Füßen verlieren kann.«
Die Augen ihrer Mutter wurden schon wieder feucht. Wie immer in den letzten Tagen, wenn sie auf Katrins Zusammenbruch zu sprechen kamen. »Vielleicht liebst du deinen Beruf ja ein bisschen zu viel.«
Katrin wollte das Gespräch beenden und ging mit ein paar leeren Getränkekisten ins Lager, aber so leicht ließ sich ihre Mutter nicht abschütteln.
»Du hast zu wenig inneren Abstand. Die Sache mit dem Mädchen hast du viel zu nah an dich herangelassen.«
Katrin war sicher, dass aus ihrem Gesicht jegliche Farbe verschwunden war. »Das sind Anfängerfehler, ich muss einfach einen Weg finden, wie ich damit klarkomme.«
»Ich würde einen dissoziativen Stupor nicht gerade als einen Anfängerfehler bezeichnen«, sagte ihre Mutter scharf. »Ich darf es mir gar nicht ausmalen, wie du da auf deinem Bett gelegen haben musst, tagelang, völlig apathisch. Ich kann einfach nicht vergessen, wie Kommissar Horn dich gefunden hat. Halb verhungert und verdurstet, kaum ansprechbar.« Die Stimme ihrer Mutter hatte schon wieder diesen Ton, als kämpfte sie gegen ihre Tränen.
Katrin wollte soeben etwas erwidern, als sie die Schritte ihres Vaters auf der Treppe hörte.
Er warf einen kurzen Blick auf die Szene.
Katrin nahm sich eine leere Kiste und stellte zwei Flaschen hinein.
»Kannst du das Mädel nicht einfach mal in Ruhe lassen?«, knurrte er und Katrin sah überrascht auf. »Sie ist eine erwachsene Frau, und du wirst sie nicht bis an dein Lebensende an
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