Fünf: Schwarzwald Thriller 1
viel zu lange zu dauern, bis er endlich schluchzend nach Atem rang.
»Sie ist jetzt schon fast zwei Tage verschwunden. Und ich bete, dass sie irgendwann wieder wohlbehalten bei uns vor der Tür steht, aber …« Er brach mitten im Satz ab. Es dauerte ein paar Sekunden, ehe er die Worte gefunden hatte, die ihm vorher gefehlt hatten. »Sie wird mich hassen«, weinte er leise und legte sein Gesicht in die Hände. »Sie wird mich hassen, wenn sie zu uns zurückkommt, weil ich sie allein gelassen habe.« Er blickte von einem zum anderen. »Verstehen Sie das?«, fragte er. »Sie wird mich dafür hassen, dass ich nicht komme, wenn sie nach mir ruft. Wenn sie in der Dunkelheit fleht, dass ihr Papa kommt und alles wiedergutmacht.« Er schluchzte so sehr, dass Katrin Mühe hatte, seine gestammelten Worte zu verstehen.
Betroffen wechselte sie einen Blick mit Darren. Verena Göggel schien es nicht mehr auszuhalten. Sie stand auf und lief aus dem Zimmer.
»Ist es nicht genau das, was kleine Mädchen von ihrem Vater erwarten? Dass er alles in Ordnung bringen kann? Dass er das Böse von ihnen fernhält, sie beschützt und behütet, dass er unter dem Bett nachschaut und die Monster verjagt, die dort in der Dunkelheit auf sie warten?« Hilflos hob er die Arme und ließ sie wieder sinken. »Und was davon mache ich? Ich sitze hier an meinem bequemen Küchentisch und lasse den Kopf hängen, während sie nach mir ruft und weint.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich hasse mich dafür – wie sehr muss sie mich da erst hassen?«
»Sie dürfen das nicht zulassen, Herr Göggel«, sagte Darren und seine Stimme klang dabei so streng, dass Katrin erschrak. »Ich kenne dieses Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, weiß, wie man sich fühlt, wenn man nichts anderes tun kann, als abwarten und hoffen. Worauf hoffen? Auf Gott vielleicht, der es zugelassen hat, dass uns jemand das Liebste wegnimmt, das wir haben auf der Welt? Der eine Kreatur wie diesen Killer erschaffen hat? Dessen Faust nicht wie ein Blitzschlag auf das Haupt dessen niederfährt, der anderen Menschen so viel Leid zufügt? Sollen wir beten, dass sie überlebt? Aber wenn, dann um welchen Preis? Oder sollen wir auf einen schnellen, gnadenvollen Tod hoffen?«
Bernhard Göggel war mit jedem Wort aufmerksamer geworden. Es schien, als hätte er sich in jedem einzelnen dieser Worte wiedergefunden, jeden einzelnen Gedanken selbst schon gedacht.
»Woher wissen Sie das alles?«
Statt einer Antwort zog Darren ein kleines Farbfoto aus seiner Jackentasche und legte es auf den Tisch.
»Das war meine Schwester …«
*
Katrin war erschöpft. Die erneute Konfrontation mit der Geschichte all dieser verschwundenen, ermordeten Kinder und die Begegnung mit den Göggels hatte sie an den Rand dessen gebracht, was sie in ihrem augenblicklichen Zustand ertragen konnte. Dazu kam, dass sie sich von Darren immer noch fürchterlich enttäuscht fühlte.
Sie hatte sich von ihm direkt nach Hause zu ihren Eltern fahren lassen, denn sie musste sich über so vieles klar werden, und das gelang ihr am besten an diesem Ort, der ihr Zuflucht und Zuhause war. Außerdem bot er ihr den Abstand, den sie wieder dringend brauchte. Abstand zu Darren, Emma und den anderen Kindern.
Darüber hinaus hatte sie morgen ohnehin den Termin beim Arzt, um sich wieder diensttauglich schreiben zu lassen. Sie musste die Erkenntnisse, die Darren gewonnen und ihr in der letzten Nacht mitgeteilt hatte, überprüfen und auswerten.
Ihre Hand ruhte auf einer kleinen, weißen Stofftasche, in die sie Darrens Unterlagen gepackt hatte. Zwölf Kinder in den letzten zwanzig Jahren. Eigentlich war es gar nicht so unglaublich, dass der Kripo bis jetzt der Zusammenhang zwischen den einzelnen Opfern nicht aufgefallen war.
Die Kinder kamen aus den unterschiedlichsten Bundesländern und verschwanden auf unterschiedlichste Weise. Außerdem wurden sie auf unterschiedlichste Weise getötet. Dass rund die Hälfte männlich war und die Morde in einem Zeitraum von zwanzig Jahren stattgefunden hatten, hatte sicher auch dazu beigetragen, dass niemand einen direkten Zusammenhang hergestellt hatte.
Niemand außer Darren.
Ein Stich ging durch ihr Herz und sie sah sein trauriges Gesicht vor sich, als sie ihm sagte, dass sie nicht mit ihm nach Freiburg zurückfahren würde.
Er hatte nicht versucht, sie zurückzuhalten und auch nicht darum gebeten, sie begleiten zu dürfen.
Darren hatte sie wortlos vor dem Laden ihrer Eltern
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