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Fünf Tanten und ein Halleluja

Fünf Tanten und ein Halleluja

Titel: Fünf Tanten und ein Halleluja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Steiner
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hatte nur Augen für das halb verzehrte Schokocroissant, das auf dem Tisch zurückblieb. Er näherte sich unauffällig, doch gerade als er zuschnappen wollte, versperrte ihm ein Kellner den Weg. Er war wie aus dem Nichts aufgetaucht, warf Toni böse Blicke zu, räumte den Tisch ab und trug alles ins Innere.
    Toni ging mutlos weiter. Schon wieder nichts. Doch er hielt die Augen offen. Er würde eine neue Chance bekommen.
    Plötzlich kam ihm eine Idee. Er wusste, wohin er gehen konnte. Dort würden ihn seine Tanten niemals suchen. Natürlich. Er machte auf dem Absatz kehrt und lief zur S-Bahn.
    Es dauerte nur eine halbe Stunde, dann hatte er sein Ziel erreicht: eine alte Gründerzeitvilla im Grunewald, das Domizil seiner Agentin Viktoria Glück.
    Das Gebäude sah aus wie ein düsteres Schloss, mit verwitterten Zinnen und brüchigem Fassadenschmuck. Viktoria Glück hatte die Villa vor Jahren geerbt, doch ihre Einnahmen reichten nicht aus, um das Gebäude zu unterhalten.
    Er betätigte die Klingel, irgendwo im Innern ertönte ein Unheil verkündender Gong, und kurz darauf stand seine Agentin auf der Schwelle. Wie immer mit strengem Gesicht, übertrieben aufrechter Haltung und einem festen Haarknoten, der die Funktion eines Liftings perfekt erfüllte. Ihre Haut sah grau und ungesund aus, und eine Nebelbank aus Zigarettenqualm umhüllte sie.
    Als sie Toni vor sich sah, verlor ihr Gesicht alles Strenge. Sie wirkte vielmehr besorgt.
    Â»Mein Gott, wie siehst du denn aus?«
    Â»Ich … kann nicht nach Hause. Da wartet meine Familie.«
    Â»Deine Familie?«, fragte sie erstaunt.
    Â»Ja. Ich habe in meinem alten Theater geschlafen. Auf der Bühne, deshalb sehe ich so zerknittert aus.«
    Â»Und in deine Wohnung kannst du nicht?«
    Â»Nein, das habe ich doch gesagt. Da ist meine Familie.«
    Das ganze Unglück seiner Situation überwältigte ihn. Sein Selbstmitleid wurde so groß, dass er sich nicht dagegen wehren konnte.
    Â»Ich hab seit gestern Mittag nichts gegessen.«
    Viktoria Glück ließ sich erweichen. »Komm erst mal rein.« Sie führte ihn in einen schmalen, dunklen Flur mit unfassbar hohen Decken. »Vielleicht gehst du zuerst ins Bad. Frische Handtücher liegen neben dem Waschbecken. Ich werde in der Zwischenzeit sehen, ob ich dir nicht etwas zum Frühstück machen kann.«
    Â»Danke. Echt. Vielen Dank.«
    Beinahe hätte er vor Dankbarkeit zu heulen begonnen. Er wandte sich ab und steuerte das Bad an.
    Â»Du hast also die falsche Rolle einstudiert?«, warf sie ihm in den Rücken. »Hast du etwa geglaubt, ich erfahre das nicht?«
    Er blieb stehen. »Bernd, Boris – wer soll das auseinanderhalten? Das hätte jedem passieren können, wirklich. Die Namen waren sich eben furchtbar ähnlich.«
    Â»Und deshalb habe ich dir geschrieben: Du bist Boris. BORIS. Es stand dick in meiner Mail. Eigentlich nicht zu übersehen.«
    Toni wartete, ob noch etwas hinterherkam, aber seine Agentin schüttelte nur den Kopf und ging davon. Dieses blöde Casting. Die Leute von der Produktion hatten ihm nach seinem Patzer eine halbe Stunde gegeben, um den richtigen Text zu lernen, und währenddessen mit dem Vorsprechen der anderen weitergemacht. Aber die halbe Stunde hatte natürlich nicht gereicht, und Toni war viel zu aufgeregt gewesen, um sich den Text zu merken. Auch sein zweiter Auftritt war alles andere als souverän gewesen.
    Nachdem er sich gründlich gewaschen hatte, ging er ins Wohnzimmer und setzte sich an den Esstisch. Auch hier sah es aus, als wäre die Zeit vor Ewigkeiten stehen geblieben. Schwere Vorhänge, gedrechselte Möbel, Stofftapeten, eine riesige Standuhr. Als könnte jeden Moment Zarah Leander aus der Küche kommen.
    Stattdessen kam Viktoria Glück. Sie trug ein Tablett mit Rührei und Speck, Tomaten, Weißbrot und Würstchen, dazu eine Kanne starken Kaffee. Toni wurde schwach. Glücklich stürzte er sich aufs Essen.
    Viktoria Glück beobachtete ihn eine Weile, dann sagte sie: »Wieso gehst du nicht an dein Handy?«
    Toni versuchte mit vollem Mund etwas zu sagen, doch sie konnte sich die Antwort bereits selbst geben: »Ach ja, deine Familie.«
    Sie zündete sich eine Zigarette an. »Wie auch immer. Ich bin froh, dass du hier bist. Dann kann ich dich ja darüber in Kenntnis setzen, dass du heute einen Termin hast.«
    Â»Was denn, zum

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