Fünf Tanten und ein Halleluja
Sie Lust haben, können Sie ja mitkommen und mir über die Schulter sehen. Dann zeige ich Ihnen, was ich meine.«
Claire sah sich unsicher um. An Kamillas Blick konnte sie erkennen, dass ihre Schwester nicht für alles Geld der Welt einen Fuà in Henriks Wohnung setzen würde. Doch Ebba hob nur die Schultern: Geh ruhig, wenn du Lust hast.
»Also gut«, sagte sie. »Ich komme mit.«
Und so schlimm war Henriks Wohnung auch gar nicht. Natürlich war es dort nicht sehr ordentlich, aber Tonis Zimmer, in das sie zu Anfang hineingestolpert waren, hatte weitaus schlimmer ausgesehen. Hier wurde regelmäÃig geputzt, das konnte Claire sofort erkennen. Und eine weitere Ãberraschung wartete auf sie: Henrik hatte einen Sinn fürs Häusliche. Zwar schienen die Möbel allesamt vom Sperrmüll zu kommen, aber Henrik hatte dekoriert: Schutzdeckchen auf Tischen und Kommoden, bestickte Sofakissen, Gestecke aus Trockenblumen, Zinnteller an der Wand. Das alles sah beinahe spieÃig aus. Gar nicht so, als wäre das tatsächlich er. Und irgendwie passte das alles auch nicht zu den Wasserpfeifen und den Kifferutensilien, die überall herumstanden.
Er nahm sie am Arm â Claire hatte schon gemerkt, dass Henrik die Leute gerne anfasste â und führte sie zum Sofa. Auf dem Couchtisch stand sein Laptop. Das Hintergrundmotiv auf dem Bildschirm: ein Foto von einem schlammigen Bodenloch, über dem Planen aufgespannt waren, um den Nieselregen abzuhalten. Offenbar war da ein schöner Moment aus seinem Leben festgehalten.
»Setz dich doch auf mein ⦠Ach, entschuldige.« Er lächelte verlegen und zeigte dabei seine Zahnlücke. »Das ist mir so rausgerutscht. Ist es okay, wenn ich dich duze?«
»Aber sicher. Ich bin Claire.«
»Henrik.« Er lieà die Hand auf ihrer Schulter liegen. »Möchtest du einen Kaffee, Claire?« Unschuldig fügte er hinzu: »Oder einen Joint?«
»Nein, danke. Weder noch. Glaub mir, mit Haschzigaretten bin ich durch. Aber ich kann dir gerne eine drehen, wenn du möchtest.«
Er lachte. »Kaum zu glauben. Das Angebot nehme ich gerne an. Du findest alles in der Dose da vorne.«
Er setzte sich und zog seinen Laptop heran. »Du bist anders als deine Schwestern. Das ist mir gleich aufgefallen.«
»Weil ich in meiner Jugend Marihuana geraucht habe?« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das täuscht. Ich bin wie sie. Und das ist auch nichts Schlechtes.«
»Natürlich nicht. Ich meine nur â¦Â« Er sah sie von der Seite an. »Du bist âne verdammt schöne Frau, weiÃt du das?«
Claire errötete. »Ach was, das ist doch Unsinn. WeiÃt du überhaupt, wie alt ich bin?«
»Nein, keine Ahnung. Aber wieâs aussieht, zu alt für mich. Trotzdem. Schönheit ist keine Frage des Alters. Und ich kann nur sagen: Wenn du in den Raum kommst, verändert sich was.«
Es war lange her, dass sie so etwas zuletzt gehört hatte. Da war Rainer noch in Papenburg gewesen. Damals, bevor er aus ihrem Leben verschwunden war.
Sie stieà ihn spielerisch in die Seite. »Kümmere dich lieber ums Internet. Deshalb sind wir doch hier, oder?«
Er schenkte ihr ein weiteres Lächeln, dann schob er den Rechner herüber, damit sie mit auf den Bildschirm blicken konnte. Während er sprach, nahm sich Claire die Dose und begann, eine Haschzigarette zu drehen. Auch das hatte sie zuletzt für Rainer getan.
»Also, fangen wir mit Tonis Twitter-Seite an. Das geht am schnellsten. Den Link hab ich mal gespeichert, weià der Himmel, weshalb. Du kennst Twitter?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne nur E-Mail.«
»Also, bei Twitter schreiben die Leute rein, was sie gerade machen oder was ihnen durch den Kopf geht. Hier: Tonis letzter Eintrag ist schon ein paar Tage alt. âºWar heute schwimmen. Danach Essen im Taj Mahal.â¹Â«
Claire staunte. »Und wen interessiert so was?«
Er lachte. »Auf die Frage gibt es keine Antwort. Darum geht es auch nicht. Egal. Also weiter zu Facebook. Das ist ganz ähnlich, nur kann man da miteinander kommunizieren. Siehst du, das ist Tonis Seite.«
Ein Foto von ihm, aus seiner Zeit am Theater. Daneben eine Reihe von Einträgen, die jedes Mal mit Toni Müller überschrieben waren. Dann waren da andere, kleinere Bildchen von anderen Leuten und dahinter die Kommentare.
»Vierhundertachtzig Freunde«, las
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