Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen
Wikinger, seine Frau wie an dem Abend, als er sie kennengelernt hatte, so, als ob er sie zum zweitenmal erobern müßte. Sie war sein Idol, sein Traum, seine Hoffnung, sein Leben. Und Marion spürte es und genoß es dankbar, wenn auch ein wenig erschrocken. Es schien ihr fast zu viel zu sein, bis sie bemerkte, daß sie Georg genauso betrachtete, wie er sie ansah.
Die Musik spielte leise. Sie sagten noch immer nichts. Sie genossen es, beieinander zu sein, im Halbdunkel darauf zu warten, einander noch näherzukommen. Marion merkte, daß ihr Mann ihr etwas sagen wollte und entgegen seiner Art mehrere Anläufe dazu benötigte.
»Ist etwas los?« versuchte sie zu helfen.
»Nein, Marion, es ist nur so … Ich fürchte, wir gehen einer schlimmen Zeit entgegen, einer Katastrophe …« Er redete sich mit einem Ruck frei. »Ich fürchte, Marion, daß wir den Krieg verlieren.«
»Das sagen viele«, erwiderte die junge Frau ernst.
»Es ist nicht wegen dieser braunen Bewegung … Ich bin froh, wenn sie zum Teufel geht, schließlich ist sie schuld an allem … aber«, sagte Georg mit Nachdruck, »was haben wir damit zu tun, du, ich, unser Junge …?«
»Lassen wir die Politik«, versetzte Marion. »Du bist hier, und noch achtundzwanzig Tage … Flitterwochen, Georg … ich bin glücklich … ich hab' dich lieb … und ich weiß, du wirst durchkommen, und ich bin auch – lach mich bitte nicht aus – so stolz auf dich.«
»Unsinn«, entgegnete er verlegen.
»Doch«, sagte Marion. »Weißt du, warum? Du bist ein Mann.«
Sie stand auf; sie war ein wenig verwirrt über ihre eigenen Worte. Georg zog sie an sich. Er roch den Duft ihrer Haare. Er spürte die Nähe ihres Körpers, von dem er so lange geträumt hatte. Und sein Blick ging über sie, betrachtete die Frau, als ob er schon Abschied von ihr nähme, ihre dunklen, glänzenden Augen, ihre brünetten Haare, ihren verspielten Mund, der sich ihm darbot, und er hörte ihre Stimme, die er am meisten an ihr liebte. Oder waren es die Augen? Oder war es ihre Haut? Er wußte es nicht. Er mochte alles, er liebte alles an Marion gleich.
»Komm«, sagte sie leise.
Georg hob sie auf. Die Flitterwochen begannen, mitten im Krieg.
Aber sie dauerten keine 28 Tage.
Eine Woche später geschah das Unfaßbare.
Die Kreisleitung veranstaltete eine Morgenfeier. Der Standortälteste der Wehrmacht bat den Kapitänleutnant Georg Fährbach, daran teilzunehmen. In der ersten Reihe. In voller Kriegsbemalung. Die Lokalpresse hatte seine Heldentaten geschildert. Georg fand den Schwulst widerlich. Aber was sollte er tun? Er hatte keine Lust, an Morgenfeiern der Partei teilzunehmen oder ihnen auch nur eine Minute seines Zusammenseins mit Marion zu opfern. Aber der alte Oberst, ein Reserveoffizier, bat ihn inständig. Und so sagte er zu, bereit, zwei Stunden Urlaub abzuziehen.
Er saß da, hörte die Fanfaren der HJ und stramme Durchhalteparolen von Leuten, die keine Ahnung hatten, was Durchhalten war, die mit keinem Schnellboot je einen Zerstörer angegriffen, die noch keinen Kameraden beerdigt, noch keinen Brief an die Angehörigen des Gefallenen geschrieben hatten. Er hörte die Phrasen von Leuten, denen noch kein Bein weggeschossen worden war, die nicht von Feldpostbriefen lebten, die nicht um Marion bangten und die Sonderzuteilungen an Schnaps und Lebensmitteln von der Gauleitung erhielten.
Das alles prallte zunächst an Kaleu Fährbach ab. Aber dann dachte er an die Besatzung eines Schnellboots seiner Flottille, das vor drei Wochen zusammengeschossen worden war wie eine alte Feldscheune. Keine Überlebenden. Er dachte an seinen Freund Christian Straff, der eben zum zweitenmal mit einem Minenräumboot in die Luft geflogen war und der in einem Lazarett zusammengeflickt wurde für den nächsten Einsatz.
Georg Fährbach spürte, wie ihm der Zorn über die Haut lief.
Und dann sah er den stellvertretenden Gauleiter, einen aufgedunsenen Burschen mit einem Rotspongesicht, betrunken noch von gestern. Aufgewärmter Rausch am frühen Morgen. Er spuckte die Worte wie Speichel. Er redete Unsinn. Seine Worte machten die Frauen zu Flintenweibern und die Männer zu Kanonenfutter. Er begeisterte sich an seinem eigenen Wortschwall, und er steigerte sich von einer Ungeheuerlichkeit in die andere hinein. Er sagte, daß die Partei den Krieg gewinnen werde und nicht die Wehrmacht … Georg Fährbach nahm es hin. Der Krieg war ihm so gleichgültig wie die Partei, und er hatte ohnedies eine andere
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